Zweiter ist erster Verlierer. Sagt man doch gemeinhin. Im Fall von Cameron Smith und Sungjae Im wäre das indes völlig unangebracht. Die beiden Zweitplatzierten dieses 84. Masters haben ein grandioses Turnier gespielt und dürfen sich wahrlich als zweite Sieger im Schatten von Dustin Johnson fühlen. So brachte der 27-jährige Australier Smith bei seiner dritten Masters-Teilnahme das bislang einmalige Kunststück von vier Runden in weniger als 70 Schlägen zustande; und dass Rookie Im beim ersten Start so weit vorn mitmischen würde, ist ohnehin phänomenal.
Der 22-jährige Südkoreaner absolvierte die Sport-Universität in Seoul und wechselte 2015 ins Profilager und war 2018/2019 Neuling des Jahres auf der PGA Tour, spielte vergangenen Dezember beim Presidents Cup mit und holte sich im März diesen Jahres sein erstes PGA-Tour-Turnier, die Honda Classic im PGA National Golf Club in Palm Beach Gardens/Florida, und ließ einen dritten Platz beim 2020 Arnold Palmer Invitational folgen.
Cameron Smith war mit ersten großen Erfolgen etwas früher dran. Mit Partner Jonas Blixt gewann der Mann aus Brisbane 2017 die Zurich Classic of New Orleans, in diesem Januar dann die Sony Open auf Hawaii. Smith, der in Augusta mit mutigem und nervenstarkem Spiel glänzte, ist Doppelsieger der Australian PGA Championship (2017, 2018). Mit ihren Ergebnissen von 273 Schlägen (-15) wären Smith und Im bei 77 der bisherigen 84 Masters erfolgreich gewesen. „Das ist echt cool“, sagte Smith. „Ich kann das gar nicht glauben. Aber ich habe halt versucht, jede Gelegenheit zu nutzen und so tief wie möglich zu schießen.“
„D. J.“ und seine Masters-Zahlen
Zahlenspiele: Dustin Johnsons 20 unter Par im Jahr 2020, die vier Runden in den 60ern von Cameron Smith oder Bernhard Langers Cut-Altersrekord waren nicht die einzigen Bestmarken, die bei diesem 84. Masters erzielt wurden. „D. J.“ ist auch der erste Golfer in der Turniergeschichte, der während der vier Tage zwei 65er-Runden zustande brachte und schraubte damit seine Serie von Umläufen unter Par auf elf, die am Freitag der Auflage 2018 begann.
Damit überholte er Tiger Woods, der es zwischen 2000 und 2002 auf zehn brachte. 38 Turnierrunden spielte der 36-Jährige bislang im Augusta National Golf Club, benötigte insgesamt 2.699 Schläge und hat damit einen Durchschnittsscore von 71,02, die niedrigste Quote aller Spieler mit vergleichbarer Rundenzahl. Und Johnson musste an den vier Tagen lediglich vier Bogey notieren, womit er gleichermaßen einen Bestwert in der gesamten Masters-Historie verbuchte.
Allerdings muss dazu gesagt werden, dass sich der Kurs heuer deutlich einfacher spielte als zu normalen Aprilzeiten; die moderaten Platzbedingungen luden zu niedrigen Scores förmlich ein. Das lag zuvorderst an den ergiebigen Regenfällen und an den Temperaturen, die das von Rye-Gras übersäte Bermuda-Gras aus seiner normalen winterlichen Wachstumsruhe weckte und wieder sprießen ließ, so dass die Fairways quasi durch einen zusätzliche Flor förmlich von unten gepolstert waren. Auch gelang es dem SubAir-System nur sehr langsam, die durchweichten Grüns auszutrocknen, die erst im Lauf des Sonntags Anwandlungen ihrer gewohnten Gefährlichkeit erkennen ließen. So konnten die Spieler die Fahnen getrost aggressiv attackieren und darauf spekulieren, dass die Bälle beißen, statt auf tanzbodenharten Flächen sonstwohin oder gar vom Grün zu rollen.
Das US Masters 2020 sorgte für einige neue Einträge in die Geschichtsbücher der Majors. Alles zu den Zahlen und Fakten des Turniers.
Andy Ogletree und sein Masters-Tagebuch
Dear Diary: Bei der kleinen Siegerehrung in Butlers Cabin besetzte Andy Ogletree den Platz des besten Amateurs. Als Senior der Georgia Tech University ist der 22-Jährige aus Missouri sozusagen Lokalmatador und hat mit Grand-Slam-Gewinner Bob Jones Jr. und Tour-Pro Matt Kuchar sehr prominente Vorgänger. Ogletree qualifizierte sich durch den Gewinn der US Amateur Championship 2019 in Pinehurst fürs Masters, spielte zwei Runden an der Seite seines Idols Tiger Woods, schaffte ebenso wie der in Pinehurst Zweitplatzierte John Augenstein den Cut und belegte am Ende den geteilten 34. Rang (-2).
Wegen der Corona-Sicherheitsbestimmungen durfte jeder der sechs teilnehmenden Amateur übrigens nur jeweils eine Nacht in Crows Nest unter dem Dach des Clubhauses von Augusta National verbringen, Ogletree hatte sich die Nacht von Mittwoch auf Donnerstag ausgesucht – eine perfekte Einstimmung auf den Turnierbeginn – und hielt seine Eindrücke vom Erlebnis Masters in einem Video-Tagebuch fest:
Rory McIlroy und die Reue im Rückblick
Hätte, wenn und aber: Eine halbe Runde kostete Rory McIlroy die echte Chance, mit Dustin Johnson um den Masters-Sieg konkurrieren zu können. Entsprechend haderte der vierfache Majorsieger am Ende der Herbsttage von Augusta National mit dem Freitag morgen, als „Rors“ beim Nachsitzen vom ersten Tag auf seinen verbliebenen neun Löchern nur ein Birdie, aber vier Bogeys schoss und eine 75 ins Clubhaus brachte, die schlechteste erste Runde seiner bislang zwölf Masters-Auftritte.
„Diese paar Stunden bereue ich beim Rückblick auf die Woche außerordentlich“, sagte McIlroy. Ganz offenkundig ist der Auftakt seine Hybris im Augusta National Golf Club. Seit 2015 summiert sich die beinahe traumatische Bilanz für die ersten Runden auf 28 über Par, dagegen stehen 61 Schläge unter Par für die Tage zwei, drei und vier.
Auch jetzt konterte der 31-Jährige mit Runden von 66, 67 und 69, die ihn auf den geteilten fünften Rang bugsierten. Damit landete McIlroy zum sechsten Mal in den vergangenen sieben Jahren in den Top Ten, hatte aber einmal mehr keine Chance auf einen Triumph. So muss er seine Ambitionen auf den Karriere-Grand-Slam erneut verschieben – in fünf Monaten wartet die nächste Chance.
Morikawas missglückter Flop Shot
Der ging nach hinten los: Einen ungewollten Kunstschlag demonstrierte Collin Morikawa während der gestrigen Finalrunde am Rand des elften Grüns. Der amtierende PGA Champion, auf der Zehn gestartet, hatte seine Annäherungen Rough geschickt, wo ihn ein sehr schräger Stand erwartete. Trotzdem entschied sich Morikawa für einen Flop Shot, um den Ball tot an die Fahne fallen zu lassen. Was draus wurde, geriet sozusagen zum doppelten Flop und führte am Ende zu einem Doppel-Bogey, aber sehen Sie selbst:
Collin Morikawa golf is hard #themasters pic.twitter.com/CSGzcgHRb6
— AJP (@pricey43) November 15, 2020
Driver-Länge ist nicht alles
Unter der Gürtellinie: Paige Spiranac, Social-Media-Golf-Beauty und Proette, hat sich einen ziemlich schlüpfrigen Spaß aus dem Abschneiden von Bryson DeChambeau bei diesem 84. Masters gemacht. In Anspielung auf seine Ankündigung, Augusta National mit dem Driver zu zerlegen, und das letztliche Scheitern des 27-jährigen Texaners am eigenen Anspruch, schrieb Spiranac auf Twitter:
Lesson learned from Bryson this week guys. It’s not how long your shaft is but how you use it https://t.co/cviAXs9ZmC
— Paige Spiranac (@PaigeSpiranac) November 13, 2020
Die Zweideutigkeit ist offensichtlich und muss nicht übersetzt werden …
Den Negativrekord hat Woods mit seiner 10 nicht
Wiederholungen gefallen nicht immer: Dennoch soll Tiger Woods‘ desaströse Zehn auf der berühmten „Golden-Bell“-Zwölf von Augusta National noch einmal erwähnt werden. Und seine Erklärung dazu: „Ich habe den Wind falsch eingeschätzt. Zuerst kam er von rechts; als ich am Abschlag war, dann plötzlich von links – was ich nicht berücksichtigt habe.“ Das kostete ihn angesichts seiner folgenden fünf Birdies nicht nur eine Platzierung nahe den angestrebten Top Ten – bei einem Par auf der Zwölf wäre er mit 8 unter Par geteilter 13. statt nun geteilter 38. geworden –, sondern auch rund 165.000 Dollar Preisgeld. Das freilich wird der 15-fache Majorsieger am ehesten verschmerzen.
Seine Zehn ist übrigens nicht das höchste je auf „Golden Bell“ gespielte Ergebnis. Diese „Ehre“ gebührt dem Amerikaner Tom Weiskopf, der 1980 fünf Bälle in Rae‘s Creek schlug und eine 13 fabrizierte. Damit teilt er sich auch den schlechtesten Loch-Score beim Masters insgesamt mit Tommy Nakajima, der 1978 auf dem 13. Loch 13 Schläge benötigte, und diesmal wegen eines positiven Corona-Tests aussetzenden Sergio Garcia, der 2018 mit einer 13 vom 15. Grün ging.
Doch eine kleine Kulisse und Applaus für den Sieger
Ansichtssache: Sollte dieses 84. Masters nicht ohne Patrons stattfinden? Und wer waren dann all die Leute, die Dustin Johnson gestern beim Marsch übers 18. Fairway und nach dem finalen Putt applaudiert haben? „Golf.com“ hat die nahe liegende Frage aufgegriffen und mal aufgelistet, wer sich dennoch auf dem „heiligen“ Rasen des Augusta National Golf Club tummeln durfte. Natürlich zuvorderst die Mitglieder, mit und ohne Green Jacket. Außerdem durfte jedes Mitglied einen Gast einladen – darunter war übrigens auch Quarterback-Legende Peyton Manning, der neulich noch „The Match“ mit Kollege Tom Brady sowie Tiger Woods und Phil Mickelson bestritten hatte. Oder ist Manning mittlerweile sogar Mitglied?
Jedenfalls durften die Teilnehmer jeweils eine Begleitperson mitbringen. Dann waren da noch Coaches, Medienmenschen (von normalerweise 700 auf 120 reduziert) und Fotografen, freiwillige Helfer und die Mitarbeiter der wenigen Imbissstände, die zum Schluss des Turniers nichts mehr zu tun hatten. Und nicht zuletzt Ex-Champions wie Bubba Watson, Jordan Spieth oder Patrick Reed, die ihre Runden bereits beendet hatten und in ihren Green Jackets warteten, um Johnson zu beglückwünschen. So bekamen die Schlussflights und der Sieger denn doch noch eine kleine Kulisse und den gebührenden Beifall.
Nur noch 141 Tage
Zum Schluss: Damit ist dieses 84. Masters in den Büchern, eigentlich das erste Major eines jeden Jahres und heuer das letzte dieses seltsamen 2020. Dustin Johnson darf sein Green Jacket fünf Monate behalten, herumzeigen und bei all dem Zirkus tragen, der um den Champion gemacht wird.
Am 5. April 2021 beginnt die neue Masters-Woche, ab dann verbleibt der Zwirn im Spind der separaten Umkleide für die Champions und wird nur für repräsentative Zwecke auf der Anlage vom Bügel genommen, fürs Champions Dinner beispielsweise. Oder wenn der alte dem neuen Sieger ins Sakko hilft.