Für die Erfinder des Spiels sind sie alle „Sassenachs“, diese Engländer: Fremde – und es ist nicht immer charmant gemeint. Das wissen zumindest Leser von Diana Gabaldons epischer Highland-Saga. Die begehrlichen Blicke der Nachbarn aufs nördliche Drittel der britischen Insel und deren kriegerische Umsetzung sind Stoff für den Grundkurs europäischer Geschichte und Blockbuster wie „Braveheart“; auch in Sachen Golf haben sich die Engländer gern bedient und den neumodischen Freizeitvertreib der Schotten schnell für sich entdeckt und eifrig importierten.
Schotten brachten Golf mit zu den „Sassenachs“
Wobei: Eigentlich brachten die Schotten Golf selbst mit nach England, als sich James I. aus dem Haus Stuart nach dem erbenlosen Tod der angeblich jungfräulichen Queen Elizabeth I. 1603 auch englischer Monarch wurde. 1606, so wollen es die Chroniken wissen, spielte sein Sohn Henry Frederick, der Prince of Wales, auf den Höhen oberhalb des Palasts in Blackheath seine Schläger schwang spielte. Im Kielwasser des royalen Spieltriebs entstand mit Royal Blackheath der älteste Golfclub Englands, originär ein Konstrukt schottischer Höflinge. Als ältester erhaltener Platz des Landes hingegen gilt Royal North Devon im tiefen Süden, angelegt 1864 vom „Golf-Godfather“ Old Tom Morris.
Zwischenstopp für Polarforscher Shackleton
Seither haben die „Sassenachs“ eine beachtliche Anzahl von Weltklasse-„Wiesen“ auf die Golflandkarte gebracht, allen voran das Heideland-Hurra von Sunningdale, gerade Schauplatz des Überraschungssiegs von Stephen Dodd bei der Senior Open Championship, und die Open-Oper Royal St. George’s, wo Collin Morikawa vor zwei Wochen zum Champion Golfer of the Year avancierte. Doch wir vertauschen die Küste von Kent gegen die Heimstatt der „Nord-Leute“, der „North Folks“, die dort leben, wo England mit der Grafschaft Norfolk noch etwas weiter in die Nordsee ragt. Das Ziel ist Lower Sheringham, ein Fischerdorf, das schon dem Polarforscher Ernest Shackleton zwischen zwei Expeditionen Wohn- und Vorbereitungsstätte gewesen ist.
Doch warum in die Ferne schweifen: Wir erkunden direkt vor Ort, und zwar den Sheringham Golf Club, ein Ensemble mit aufregenden Aussichten auf die See. 1889 entschied hier Henry Broadhurst, Parlamentsmitglied, stellvertretender Innenminister und Gründungsmitglied des benachbarten und gleichermaßen spielenswerten Cromer Golf Club, dass durchaus Platz für einen zweiten Parcours sei. Gesagt, getan: Professional Tom Dunn reiste aus dem Speckgürtel von London an und pflanzte bis 1892 neun Loch auf Sheringhams Steilufer. Kurz vor der Jahrhundertwende wurde das Layout auf 18 Loch erweitert, 1912 kam das heutige Clubhaus hinzu.
Seither zählt der „Cliffhanger“ durchaus zu Englands guter Golfplatz-Garde, wenngleich weithin unterschätzt. „Die Länge der Löcher ist bis ans Limit ausgereizt, und selten werden einem heftigere Schläge mit dem Fairwayholz abverlangt“, notierte schon 1910 der legendäre Golfdesigner und -schreiber Bernard Darwin in seinem Standardwerk „The Golf Courses of the British Isles“. Das hat sich trotz der Entwicklung des Schlägermaterials für den Hobby-Golfer bis heute kaum geändert, wenn die Seebrise übers Gelände pfeift.
Schmal geht’s überdies zu, denn Sheringhams 18 ordentlich ondulierte Bahnen sind teils in Viererreihe zwischen die Bahngleise der historischen North Norfolk Railway und die Bruchkanten zum Strand gequetscht; der Kurs muss mit Par 70 auskommen, hat dennoch eine Distanz von fast 6.000 Metern. Die besten Löcher, was Wunder, sind jene am Abgrund, von Drei bis Sieben.
Ball und Blick nicht in dieselbe Richtung lenken
Vor allem die Fünf tut sich diesbezüglich hervor, ein denkwürdiges, unter Wind extrem schwierig zu spielendes 418 Meter langes Par 4 mit Abschlag vom Hügel, garstigen Sandhindernissen in der Landezone sowie einem blinden Annäherungsschlag auf ein enges, durch Verwerfungen gut geschütztes, nach links hängendes Grün. Und die Aussicht erst … Aber nicht gleich den Ball der Blickachse hinterherschicken!
Von hier an senkt sich das Gelände, bis es erst an seiner jenseitigen Grenze, beim Grün der Par-5-Sieben (503 Meter), dem Abschlag der Acht (Par 3, 162 Meter) und dem Grün von Loch 14 (Par 4, 347 Meter) wieder erhebt. Der eingeschränkten Flächenverfügbarkeit geschuldet, offenbart sich selbst aus der zweiten, dritten oder gar vierten Reihe freie Sicht auf die scheinbare Unendlichkeit des Ozeans – auch, weil die stellenweisen Ginster-Ansammlungen zwar wild, aber niedrig wuchern.
Bunker-Kragen und Ginsterkulisse
Bei alldem ist das Design zwar Linksstil, der Platz selbst aber kein originäre Linkskurs – schlicht, weil es auf den in der Eiszeit entstandenen Erhebungen am unabdingbaren komplett sandigen Untergrund und selbst an der minimalsten Düne fehlt. Dem Vergnügen tut das freilich keinen Abbruch. Beispielhaft sei Loch 11 erwähnt: Das 144-Meter-Par-3 könnte mit seinem Bunker-Kragen und der Ginsterkulisse auch zum Ensemble des weltberühmten schottischen Royal Dornoch gehören.
Schlussstrecke entlang der Bahnlinie
Die Schlussstrecke dann erinnert im Wortsinn hautnah daran, was der Entwicklung und der Popularität des Golfspiels in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts 1850/1860 so enormen Vorschub geleistet hat: die Eisenbahn-Erschließung des Vereinigten Königreichs nämlich.
Wie bei so vielen historischen Heimstätten des Spiels liegen die Schienen direkt neben den Fairways. Oder anders: Wer zum Slice neigt, sollte auf den Bahnen 15 bis 18 gleich ein Zugticket für den Ball buchen, wenn der Schuss nach rechts abdriftet. Vor allem 17 und 18, Par-4 mit 430 bzw. 385 Metern, sind durch ihre knackige Bebunkerung noch mal ein taffer Test zum Schluss.
Aber zum Lohn schnauft währenddessen vielleicht eine Dampflok der Lokalbahn auf der historischen Strecke vorbei. (www.sheringhamgolfclub.co.uk)
Wo „Königs“ das Landleben genießen
Where to be: Wer nah am Meer liegt, der muss unliebsamen Besuchs stets gewärtig sein. Im 5. Jahrhundert landeten die Angeln aus dem Norden des heutigen Schleswig-Holstein ihre Boote am Strand, erklommen die Steilufer und begründeten das Königreich East Anglia. Die Grafschaft Norfolk im Norden des „Horns von England“ ist eine von fünf, die ganz oder teils in East Anglia liegen, und in weiten Teilen von großer landschaftlicher Schönheit.
What to see: die Burgruine von Castle Acre Castle, eine hölzerne Befestigungsanlage, zählt zu den geschützten archäologischen Stätten Großbritanniens; die Fluss-, Sumpf- und Waldlandschaft der Norfolk Broads; Schloss und Kathedrale der „Hauptstadt“ Norwich; Schloss und Gärten von Sandringham House, einem Landsitz der britischen Königsfamilie.
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Where to eat: The Red Lion in Cromer. (www.redlioncromer.co.uk)
Where to stay: The Grove in Cromer (www.thegrovecromer.co.uk); Cliftonville Hotel in Cromer, (www.cliftonvillehotel.co.uk).