Hereinspaziert, wertes Publikum, hereinspaziert! Herzlich willkommen zum Ryder-Cup-„Stadel“ in der US-Version: Aufgeführt wird „Die Jagd nach dem verlorenen Pokal“, ein Lustspiel in zwei Akten zwischen Stand-up-Comedy, Improvisationstheater und – womöglich – finalem Heldenepos.
Remake einer sattsam bekannten Handlung
Suchen Sie sich gern einen freien Platz. Nur die erste Reihe ist bereits besetzt. Da sitzen die Titelverteidiger aus Europa und schauen – vermutlich belustigt – dem Remake einer sattsam bekannten Handlung zu. Die amerikanische „Schauspiel“-Schar versucht sich mal wieder daran, ein mit Stars gespicktes Ensemble zu choreographieren, Papier-Übermacht in Punkte-Überlegenheit umzusetzen.
Nur diesmal geht das Gekeile schon vor dem ersten Vierer von Whistling Straits los. Dabei sind Bryson DeChambeau und Brooks Koepka noch gar nicht direkt aufeinander getroffen. Oder Koepka und Dustin Johnson. Oder „Patty Ice“ Cantlay und DeChambeau. Skipper Steve Stricker sitzt angesichts dieser Konstellationen auf einer tickenden, mit Nitroglyzerin befüllten Zeitbombe; beim geringsten Schubs fliegt ihm sein ganzes Team um die Ohren – und Patrick Reed ist nicht mal mit von der Partie.
Patrick Reed: Prolog im Possenspiel ums Prestigeduell
Der einstige „Captain America“ übernimmt stattdessen den Prolog im Possenspiel ums Prestigeduell, versieht Social-Media-Attacken gegen Stricker munter mit Likes (um später das meiste doch wieder zu „entliken“) und markiert damit den Plot, setzt die Tonalität.
Zweite Szene, Auftritt Brooks Koepka. In einem fließenden dramaturgischen Übergang bestreitet der eigentlich wegen einer Handgelenksverletzung indisponierte vierfache Majorsieger den ersten großen Monolog, deklamiert, dass er eigentlich überhaupt keinen Bock auf Ryder Cup habe und Gruppen-Golf irgendwie eh nicht Bestandteil seiner DNA sei. Und geht erst wieder mal ab …
Für kurze Zeit liegt die Bühne verwaist da. Derweil ertönt aus dem Off die Stimme des siegreichen 2008er-Teamchefs Paul Azinger als eine Art gutes Gewissen der amerikanischen Ambitionen, um Koepka zu empfehlen, doch einfach zuhause zu bleiben und seinen Platz einem motivierteren Mitstreiter zu überlassen. Was für eine pfiffige Finte der Regie.
Billy Horschel und Kevin Na: Die Arie der Ausgebooteten
Jetzt setzt leiser Gesang ein. Die potenziellen Rookies Billy Horschel und Kevin Na intonieren mit der Inbrunst verletzter Eitelkeit die Arie der Ausgebooteten. Horschel brummelige Beschwerde über Strickers ausgebliebenen Absage-Anruf bildet dabei die Grundmelodie eines beredten Klagelieds, in dem Na seinem Unverständnis fürs entgangene Debüt Ausdruck verleiht.
Es ist ab und an etwas dissonant im Duktus, aber man versteht, was er meint. „Bereicherung“, „gute Energie und viel Hingabe“ klingen im Tremolo mit. Gleichermaßen eine Initiativbewerbung als Ergänzung und Viererpartner des schwierigen Longhitter DeChambeau. „Ich bin ein guter Putter und Chipper, hätte Wedges und kurze Eisen gestopft“, preist sich Na im Refrain und kriegt höflichen Applaus. Licht aus …
Phil Mickelsons Solo voller oller Kamellen
… Spot an: Im Rampenlicht steht einsam – Phil Mickelson. Nur zur Klarstellung: Jener Ausnahme-Athlet, der im Alter von fast 51 Jahren sein sechstes Major gewonnen hat, die PGA Championship 2021 auf Kiawah Island. Also „Phil the Thrill“, der sagenumwobene Wizard mit den Wedges und so weiter. All das sei vorsichtshalber erwähnt, damit Mickelson selbst nicht darauf hinweisen muss – was er seit Mai ohnehin bei jeder passenden wie unpassenden Gelegenheit tut.
In Whistling Straits ist er nach mehr als 25 Jahren und insgesamt zwölf Ryder-Cup-Durchgängen als Spieler erstmals lediglich „Assi“, deswegen muss jetzt ein superbes Solo her – auf dass ihn ja niemand übersehe. Mickelson will immerhin die Gründe für den guten Lauf der Europäer herausgefunden haben, die in neun der jüngsten zwölf Kontinentalwettbewerbe obsiegten. Also schwadroniert „Lefty“ über Solidarität, Korpsgeist, mannschaftliche Geschlossenheit, planvolles Vorgehen. Und und und. Bla bla bla.
Bloß, das sind olle Kamellen, seit Jahr und Tag gefestigte Erkenntnisse. Was Mickelson zu erwähnen vergaß: Er selbst schwang meist in vorderster Front die Fackel oder Forke der Stimmungsmache, wenn ein unterlegener US-Kapitän zum Medien-Schafott geführt wurde. Diesseits des Atlantiks sind seine Attacken von 2004 und 2014 gegen Hal Sutton bzw. Tom Watson jedenfalls unvergessen.
Sowieso hätte „Lefty“ besser geschwiegen, steht er doch neben Tiger Woods zuvorderst als leuchtendes Negativbeispiel für das „Ego-Shooter“-Syndrom der US-Equipe. Heutige Diven wie DeChambeau und Koepka sind allenfalls „illegitime“ Nachfolger des inkompatiblen Star-Duos.
Angenehme Ambivalenz zur amerikanischen Aufgeregtheit
Prompt ertönen aus dem Publikum dezentes Hüsteln und vereinzelte leise Pfiffe, während Mickelson im erlöschenden Bühnenlicht verblasst. In der ersten Zuschauerreihe grinsen sich altgediente Ryder-Cup-Schlachtrösser wie Rory McIlroy, Lee Westwood oder Sergio Garcia wissend an: Irgendwann begreift es auch der Letzte. Ende des ersten Akts.
Auf dem Weg ans Pausenbüffet erzählt Martin Kaymer, einer der Stellvertreter von Europas Kapitän Padraig Harrington, dass der große Münchner Komiker Karl Valentin in seiner von Kauzigkeit verbrämten Weisheit dazu mal den passenden Satz formuliert hat: „Es ist längst alles gesagt, nur noch nicht von allen.“
Henrik Stenson ist fünfter Vize-Kapitän
Die Europäer wirken dagegen derzeit geradezu langweilig. Welch angenehme Ambivalenz zur amerikanischen Aufgeregtheit. Henrik Stenson wurde gerade noch als fünfter Vize berufen. Echt? Wow? Nicht wirklich…
Hauptübungsleiter Harrington fühlte sich überdies aufgerufen, dem bei der Vergabe seiner drei „Captain’s Picks“ leer ausgegangenen Justin Rose ein paar wohlmeinende Worte zu widmen. Dabei hatte der kein böses Wort über die Nichtberücksichtigung verloren – die feine englische Art halt.
Harringtons Wildcard-Dilemma in Sachen Justin Rose
Es sei dennoch ein schwieriger Anruf gewesen: „Rosie hat grundsätzlich genug gespielt, um es ins Team zu schaffen“, gab Harrington das Gespräch mit dem US-Open-Champion von 2013 und Olympiasieger von 2016 wieder. Doch bei der BMW PGA Championship habe nun mal Bernd Wiesberger den letzten verbliebenen Qualifikationsplatz ergattert und dabei Shane Lowry verdrängt, der bekanntlich mit einer Wildcard entschädigt wurde. Und: „Letztlich hast du nie genug Picks, um allen gerecht zu werden.“
Unruhe liest sich anders. Im golferischen Paralleluniversum des blauen Teams herrscht Friede, Freude, Eierkuchen. Und für den Rest haben sie ja die One-Man-Show Ian Poulter. Hier gleichsam als Pausenfüller.
Der extrovertierte Engländer, seit jeher das Treibmittel der europäischen Ryder-Cup-Rakete und insgeheim fürs Kapitänsamt 2025 gehandelt, wenn’s auf dem Black Course des Bethpage State Park zur Sache geht, steht schon wieder mordsmäßig unter Strom und feuert auf seinen Social-Media-Kanälen eine Salve nach der anderen gegen die Gastgeber. „Postman Poults“ wirkt, als hätte Harrington mit seinem Pick einen Schalter umgelegt: er wirft sich in die Brust und heizt an, trommelt und balzt fürs erneute „blaue Wunder“ wie der manische Hase aus der Batteriewerbung.
In dieser Glosse zur Posse ist jetzt die Bühne umgebaut, das Vorgeplänkel zu Ende: Die Handlung wechselt nach Wisconsin. In der europäischen Loge sind plötzlich alle hellwach.
Der Rochus des Jon Rahm
Vor allem Jon Rahm hat einen mächtigen Rochus auf seine US-Kollegen, weil die ihn bei der Kür zum „Player of the Year“ auf der PGA Tour zugunsten von Patrick Cantlay übergangen haben. Nach überstandener Magen-Unpässlichkeit und verpasstem Cut bei der Fortinet Championship brennt der spanische Weltranglisten-Erste auf Revanche und Rehabilitation: „Zweiter ist immer erster Verlierer, das fühlt sich nicht besonders toll an. Ohne das Pech beim Memorial oder vor den Olympischen Spielen wäre die Wahl vielleicht auf mich gefallen, denn ich habe gut genug gespielt, um des Titels würdig zu sein.“
Und damit Bühne frei für Akt zwei! Mal sehen, wer die Hauptrollen besetzt, wenn das Ballyhoo sich zum Blockbuster wandelt und Harringtons Dutzend im Feuer frenetischer Fans bestehen muss. Vor der Kulisse des Lake Michigan erstreckt sich Whistling Straits mit seinen 1.012 Bunkern. Fortsetzung folgt.