Die Ortsbezeichnung sagt schon alles: Wir sind in Carnoustie Country, schottische Ostküste, 45 Kilometer nördlich von St. Andrews, zwischen Dundee und Aberdeen. Die Carnoustie Golf Links, genauer gesagt ihr Championship Course, überstrahlen hier sämtliche Golfplätze der Region. Acht Mal fand auf dem Parcours zwischen den Sidlaw Hills und der Mündung des Flüsschens Barry Burn in die Nordsee die Open Championship statt, und die Briten mit ihrer Vorliebe für Wortspiele sprechen wahlweise von „Car-nasty“ oder von „The Carnage at Carnoustie“, Tiger Woods nannte das Par-71-Ensemble mal den „wohl schwierigsten Platz der gesamten Open-Rota“.
Golf Grandios: Anlässlich der 150. Open Championship, die im Juli auf dem Old Course ausgetragen und in St. Andrews längst zelebriert wird, richten wir den Fokus auf das Home of Golf und seine Umgebung und porträtieren in loser Reihenfolge außergewöhnliche Kurse sowie andere gute Adressen – samt Empfehlungen für den Aufenthalt in der Region.
Schon das Clubhaus ist ein atemverschlagender Anblick
Bei soviel Renommee rangiert die eigentliche Fairway-Vielfalt des Landstrichs fast zwangsläufig unter ferner liefen – was schade ist angesichts von Golf-Gemmen wie Montrose und Monifieth. Oder eben Panmure, quasi direkt nebenan. Wenn Carnoustie das Biest darstellt, dann ist der Panmure Golf Club die Schönheit in seinem Schatten. Nicht allein wegen seines charmanten strahlend weißen Clubhauses, dessen Anblick im Schein der Nachmittagssonne einem schier den Atem verschlagen kann, wenn man nach einer Runde über die Links in Richtung 18. Grün marschiert.
Das „Vereinsheim“, eröffnet 1906, orientiert sich in Form und Anmutung am 1829 gegründeten Royal Calcutta Golf Club, dem ältesten Golfclub Indiens und zweitältesten außerhalb von Großbritannien. Es steht für die enge Beziehung zwischen dem schottischen Dundee und der einstigen Hauptstadt von Britisch-Indien in den Hoch-Zeiten des Jute-Handels und ist überdies eine Reverenz an die damaligen Landkauf-Geldgeber des Golfclubs, deren Vorfahren in Indien reich geworden waren und Royal Calcutta gegründet hatten.
Und damit zum ersten Abschlag, der direkt an der rechten Seite des Schmuckstücks liegt: Beim Eröffnungsdrive schwang jede Menge frohe Erwartung mit – und wurde nicht enttäuscht.
Flacher Einstieg zum Warmwerden
Panmure ist polymorph, besteht aus mehreren Teilen, beginnt flach und wenig aufregend. Gut zum Warmwerden und täuschend schlicht, siehe Foto – aber kaum geeignet zur Einstimmung auf das, was folgt.
Ab Tee 4 am Rand eines Kiefern-Wäldchens zieht der Spannungsbogen spürbar an: Vor dem Golfer-Auge breitet sich wild wogendes Linksland aus, wenngleich meilenweit kein Meer in Sicht ist. Nur vereinzelt sprenkelt gemähtes Grün die spröde wuchernde Vegetation – das kann ja heiter werden. Genug Bälle dabei?
Ben Hogans Lieblingsloch als Signature Hole
Auf Loch 6 ist das Spektakel endgültig in vollem Gang. Das phänomenale Par 4 ist zu einer Art Signature Hole geworden, seit Ben Hogan dort 1953 seine Spuren hinterlassen hat. „The Hawk“ kam als amtierender Masters- und US-Open-Champion zu seiner einzigen Open Championship für zwei Wochen über den großen Teich und erkor Panmure zum Trainingsterritorium, um dem Medienrummel in Carnoustie zu entgehen und sich mit seinem Caddie Cecil Timms auf Linksgolf und den damals etwas kleineren britischen Ball mit rund 1,5 Millimeter weniger Durchmesser einzuspielen.
Bei einer ersten Runde war der große Mann von der 378 Meter langen Bahn mit dem zweispurigen, in Teilen blind anzuspielenden Fairway bereits extrem angetan, schlug dem begleitenden Clubsekretär indes zur Vervollkommnung einen Pott-Bunker am rechten Rand des erhöhten Grüns vor, was prompt umgesetzt wurde.
Als Hogan dann in Carnoustie am 10. Juli 1953 nach 36 finalen Löchern sein neuntes und letztes Major, mithin die bis heute unerreichte „Triple Crown“, gewonnen hatte und zum Lieblingsloch auf dem Championship Course befragt wurde, nannte er stattdessen prompt Panmures später nach ihm benannte Sechs, trotz mehrfachen Nachhakens der Reporter.
Wellen um Wellen stemmt sich der Platz gegen den Ball
Überliefert ist ebenso, dass Hogan sich damals beim Head-Greenkeeper einen Rasenmäher lieh, um das 17. Grün höchstselbst nach seinen Vorstellungen runter zu schneiden.
Aber bis dahin ist‘s noch weithin, und der Spaß fängt ja gerade erst richtig an, der Kurs wird jetzt endgültig zum Waschbrett. Die 1,6 Kilometer entfernte Nordsee findet quasi im Gelände ihre Fortsetzung: Welle um Welle stemmt sich Panmure gegen den Ball, bietet herausragende und einzigartige Löcher in Reihe auf, serviert Herausforderungen in Serie.
Die Zwölf ist ein perfektes Beispiel. „Budden Burn“ heißt wie der Bach, der vor dem Grün mäandert und den Annäherungsschlag über eine Fairway-Zunge zu einem Nerventest mit weichen Knien und feuchten Händen macht – erst recht, wenn man den Abschlag verzieht und bis zum nierenförmigen Grün aus ungünstigem Winkel mit einem mittleren Eisen ein bisschen Strecke machen muss.
Durchatmen freilich ist anschließend nicht. Nach dem U-Turn warten auf dem Rückweg ein paar weitere knackige Löcher zwischen Hügeln und Heide, bevor das Terrain und mithin der Tremor wieder flacher werden – wohltuend, ehrlich gesagt, denn Kopf und Körper sind müde. Nach der Parforcejagd über Panmures Paradestrecke reicht die lockende Silhouette des Clubhauses in der Ferne als Finale furioso völlig.
So ist die Aussicht auf das Kaltgetränk fast wichtiger als der abschließende Score auf der 18. Was nicht heißt, dass der Besucher jetzt schon mit Panmure abschließen sollte. Denn wer im Clubhaus nicht die Augen aufmacht, ist selbst schuld.
Das Gebäude ist so pur Golf-Grandezza wie das Geläuf, von der Bar „19th Hole“ hinter dem Eingang bis zur Bibliothek im ersten Stock, von der „Hogan Lounge“ mit dem Clubsilber sowie dem Odeur von Holz, Leder und Politur bis zum formellen Speisezimmer „Dalhousie Room“, der nach dem Adelsgeschlecht benannt ist, dem Panmure so viel zu verdanken hat.
Ursprünglich tummelten sich die Mitglieder des 1845 begründeten Clubs auf den benachbarten Links von Monifieth, die man von Lord Panmure, vordem William Maule, gepachtet hatte. Doch als es dort Ende des 19. Jahrhunderts zu voll wurde, weil sich in guter schottischer Tradition stets mehrere Clubs die Links teilen, zogen die Gentlemen ins benachbarte Barry um, wo Tom Morris 1897 ein geeignetes Areal („many sporting holes and shots“) ausfindig gemacht und im Bereich der heutigen Löcher 4 bis 15 den Vorläufer des Platzes ausgesteckt hatte.
Die Geschichte hinter der Muschelschale als Club-Signet
Hier hieß der Grundherr Arthur George Ramsay, 14. Earl of Dalhousie, ebenfalls ein Vertreter der in Person von Guarin Le Jeune de Maule im 11. Jahrhundert aus Frankreich eingewanderten und mittlerweile weit verzeigten Maules, der später auch Club-Captain werden sollte. Bereits 1527 wurde übrigens im „Registrum de Panmure“ ein Sir Robert Maule erwähnt, der auf den Barry Links golfte („exerciset the gowf and oftymes past to Barry lynkes“) und überdies ziemlich trinkfest gewesen zu sein schien. So weit, so spannend oder kompliziert, je nach historischem Geschmack.
Jedenfalls erklärte die Entstehungsgeschichte gleichermaßen das ungewöhnlich Signet von Panmure: Es bezieht sich eben auf die Familie Maule, deren Name sich auf das altfranzösische Wort für Muscheln zurückführen lässt. Die ordinäre Miesmuschel („Moules“) freilich wollten sie sich für ihren Panmure Golf Club denn doch nicht auf die Fahne schreiben – stattdessen wurde es dann eine Schale der edlen Jakobsmuschel.
Golf, Gin, Schlösser, Fish & Chips
Where to be: Carnoustie Country ist Golfland, so wie eigentlich alles an Schottlands Ostküste. Über 30 Golfanlagen rund um das durch die Open Championship berühmt gewordene Städtchen in der Grafschaft Angus sind unter der Regionalmarke zusammengefasst, zuvorderst das Major-Geläuf selbst (Foto oben), dazu Links-Ikonen wie der fünftälteste Golfplatz der Welt in Montrose, Parkland-Preziosen und Heideland-Hurra. Garniert ist das Ganze mit dem quirligen Treiben in Schottlands „coolster Kleinstadt“ Dundee (Eigenwerbung) und jeder Menge Ausflugsmöglichkeiten, die nicht nur auf einen Golfplatz führen müssen. (carnoustiecountry.com)
Where to eat: Fish & Chips sind an der britischen Küste quasi ein Muss, aber es gibt noch andere Spezialitäten, beispielsweise den weltberühmten „Arbroath Smokie“, geräucherten Schellfisch, der sich natürlich am besten in seinem Herkunftsort genießen lässt, dem nicht weit von Panmure entfernten Fischerdorf Arbroath – und dort bei „Stuart’s Fresh Fish“ (www.arbroathsmokiesdirect.co.uk) oder im Seafood-Restaurant „Old Boatyard“ mit Blick auf Fischmarkt, Hafen und Wasser. (www.oldboatyard.co.uk)
What to see: Die lebhafte Handelsstadt Dundee an der Mündung des River Tay mit ihren alten Schiffen und dem neuen Design-Museum „V&A Dundee“ der ersten Außenstelle des Londoner Victoria & Albert Museum, mit Flaniermeilen am Hafen und in der Altstadt ist allemal einen Bummel wert. Wen es interessiert, wie sich‘s dunnemals in einem der trutzigen schottischen Schlösser gelebt hat, dem sei eine Besichtigung von Glamis Castle, Wohnsitz des Earl of Strathmore, und seiner mal prächtigen, mal überladenen Räumlichkeiten empfohlen.
Und weil die Kombi Schottland und Whisky fast überflüssig einer Erwähnung ist, soll stattdessen mal Gin in den Fokus gerückt werden, immerhin finden sich gerade in der splendiden Natur des Hinterlands die feinsten Ingredienzien. Bei „Gin Bothy“ in Glamis zum Beispiel vermittelt man gern detaillierte Informationen über Zutaten, Grundlagen und Herstellungsprozess – inklusive Verkostungsgenuss. Die Story der „Bothys“, der heute von Hikern und Bikern nutzbaren einstigen Hirtenhütten im Hochland, ist zudem was für Freunde ungeschminkter, authentischer Naturerlebnisse. (www.ginbothy.co.uk).
Where to stay: Dundee ist der ideale Ausgangspunkt für alle Golf- und sonstigen Trips ins Umland, das stylische Boutique-Hotel „Malmaison“ am Rand der Altstadt dafür durchaus die geeignete Herberge (www.malmaison.com/dundee). Für den Schlummertrunk, so der nicht an der Hotelbar stattfinden soll, gibt‘s abschließend einen wahrhaftigen Geheimtipp in des Wortes doppelter Bedeutung: Das „Draffens“ ist eine bezaubernd gemütliche 1920er-Jahre-Cocktailbar mit schummrigem Licht, Stein, Holz und Leder sowie etwas Plüsch. Die Karte liest sich wie ein Katalog des einstigen Warenhauses, in dessen Souterrain das „Draffens“ seine Gäste bewirtet. Mixen können sie hinter der Theke richtig gut, der Whisky Sour war weltklasse.
Nur finden muss man die Tränke erstmal, der unscheinbare Eingang liegt in einer schmalen, finsteren Gasse namens Couttie's Wynd, die einem auf den ersten Blick durchaus suspekt vorkommen mag. „Draffens“hat keinen Internetauftritt, ein paar Anhaltspunkte für Suchende finden sich allerdings bei „SeeDundee“.