"Auf den zweiten Neun hat es richtig Spaß gemacht", stellte Martin Kaymer nach seiner Finalrunde beim Ryder Cup 2012 fest. Kein Wunder, hat er doch ein paar Stunden zuvor Ryder-Cup-Geschichte geschrieben. Mit dem entscheidenden Putt in seinem Einzel gegen Steve Stricker erspielte Kaymer den 14ten, entscheidenden Punkt für Europa. Dabei war das vorletzte Match der Ryder-Cup-Singles von Anfang bis zum Ende hin hochspannend.
Steve Stricker startet gut
Steve Stricker erwischte mit einem Birdie am zweiten Loch den besseren Start im Einzel als Martin Kaymer. Der Amerikaner ließ danach nicht locker und verteidigte den knappen Ein-Loch-Vorsprung bis zum sechsten Loch. Hier verlor Stricker mit einem Bogey das Loch an Kaymer, die Partie ging wieder auf Gleichstand. Kaymer machte auf den ersten neun Löchern kaum Fehler und ging mit einem Birdie an der 9 in Führung. Auffällig an Kaymers Spiel waren die guten Drives, hier hatte der Mettmanner einen klaren Längenvorteil gegenüber dem 45-jährigen Stricker. Allerdings konnte er diesen Vorteil kaum nutzen, die Genauigkeit in den Annäherungen fehlte Kaymer auf der 10, 11 und 12.
Ein Thriller auf den letzten Löchern
Kaymers fehlende Präzision vermochte Stricker nicht zu seinen Gunsten zu nutzen. Im Gegenteil: Wenn Kaymer ein Fehler unterlief, ließ Stricker die Gelegenheit meist ungenutzt. An einem der Signature-Holes des Course No.3, der 13, verlief Kaymer ein folgenschwerer Fehler. Am Loch zuvor, der 12, konnte er trotz eines schwachen zweiten Schlags einen Schlag in Führung gehen, so dass der 27-Jährige zuerst über das Wasser an der 13 schlagen durfte. Sein Abschlag geriet zu weit nach rechts und viel zu kurz - ab ins Wasser. Stricker spielte Par und glich damit das Match aus. Bei noch fünf zu spielenden Löchern stieg der Druck auf die beiden Spieler.
Zu diesem Zeitpunkt wurde langsam deutlich, wie entscheidend das Match zwischen Kaymer und Stricker werden könnte. Kaymer verschwendete daran offensichtlich keine Gedanken und übernahm nach einem starken Putt zum Birdie an der 14 wieder die Führung gegen Stricker. Diese sollte allerdings nur ein Loch halten, Kaymers Putt an der 15 drehte fast eine gesamte Ehrenrunde auf der Lochkante und lippte aus. All-Square und nur noch drei Löcher waren zu spielen.
Olazábals Motivationsspritze
An der 16 kam der europäische Kapitän Olazábal zu Martin Kaymer und gab ihm eine kleine Motivationsspritze mit auf den Weg: "Du musst den Punkt holen, dafür bist Du dabei!" Kaymer sagte später, dass er sich auf den zweiten Neun gut gefühlt habe - offensichtlich liegen solche extremen Drucksituationen dem Deutschen. Auf der 16 lochten Stricker und Kaymer ihre schweren Vier-Meter-Putts ohne mit der Wimper zu zucken. Kaymer dachte auch auf der 17 nicht einmal daran, Nerven zu zeigen, er spielte ohne große Probleme das unglaublich wichtige Par. Denn zu diesem Zeitpunkt war klar: Europa braucht mindestens einen halben Punkt von Kaymer. Zur Freude der europäischen Fans verpasste Stricker das Par an der 17 - Kaymer ging mit 1 auf auf das finale Loch.
"Crunch Time" in Medinah
Das Unmögliche schien jetzt greifbar zu sein. Die Europäer hatten den 6-zu-10-Rückstand nach den Samstag-Fourballs wettgemacht. Alles kam jetzt auf Kaymer an, er musste den Punkt mit diesem einen letzten Loch verteidigen. Im Interview nach dem Match sagte Kaymer, dass er sich viel Zeit hatte nehmen müssen, um nach der 17 ein wenig runterzukommen. Er hätte sich wohl noch ein bisschen mehr Zeit lassen sollen, denn sein Drive landete rechts im Fairway-Bunker. Stricker spielte seinen Ball in die Mitte des Fairways. Kaymer konterte mit einem super Schlag aus dem Bunker direkt auf die linke Seite des Grüns. Stricker schaffte es nicht, den Ball näher an die Fahne zu bringen als Kaymer und musste als erstes auf dem 18. Grün putten.
Ein Moment für die Geschichtsbücher
Stricker hielt dem Druck nicht Stand und verpasste das Birdie - Kaymer hatte nun zwei Putts um zu gewinnen, um das gesamte Team USA zu besiegen! Der erste Putt wollte nicht fallen und kroch gute eineinhalb Meter hinter das Loch. Dem einzigen deutschen Ryder-Cup-Teilnehmer blieb jedoch der Vorteil, nach Stricker an der Reihe zu sein. So musste Kaymer zusehen, wie Stricker den Ball im Loch versenkte. Auf die Frage, ob Kaymer an Langers verpassten Putt von 1991 gedacht habe, antwortete Kaymer interessanterweise mit "Ja!". Trotzdem fühlte er sich nach eigener Aussage nicht nervös, da er gewusst habe, was zu tun sei. Nach einer genauen Sicht der Putt-Linie nahm Kaymer Maß und versenkte den Putt in die Mitte des Lochs. Die Folge war ein unbeschreiblicher Ausbruch von den Fans, den Spielern und vor allem Kaymer selbst.
Hut ab, Martin Kaymer, und Hut ab Team Europe für so eine historische Aufholjagd!
Das Größte seit der Erweckung des Lazerus!