Gute alte Tante BBC: Wenn Großbritanniens fast 100 Jahre alte „British Broadcasting Corporation“, übrigens die älteste nationale Rundfunkanstalt der Welt, etwas besonders thematisiert, dann hat das Gewicht. Immer noch, Betagtheit und manchem Skandal zum Trotz. So wie jetzt, als die BBC im Rahmen ihrer Berichterstattung von der Weltklima-Konferenz in Glasgow die schockierende Information vermittelte: Der Old Course könnte demnächst im Meer versinken!
Großbritanniens gesamte Küste betroffen
Eigentlich ging und geht es indes nicht nur um die Kathedrale des Golfsports vor den Toren von St. Andrews – die gesamte schottische Küste, nein, überhaupt die ganze Küstenlinie des United Kingdom ist vom Klimawandel betroffen, von Extrem-Wetterlagen, Sturmfluten, Erosion und dem Anstieg des Meeresspiegels. „Uns gehen überall die Küstensedimente aus“, sagte Dr. Jim Hansom von der Universität Glasgow in der „The One Show“ des Senders, die live aus Glasgow gesendet wurde. Hansom leitet eine Forschungsgruppe, die sich mit Prognosen zur Küstenerosion beschäftigt.
Dünen-Schwund und Milliardenschäden bis 2050
Laut BBC hat sich der Schwund seit den 1980er-Jahren in Teilen des Landes sogar verdreifacht. Bis 2050 könnten durch die Überschwemmung von seeseitiger Bebauung Infrastruktur Schäden in Milliardenhöhe entstehen. Hansom: „Je weiter die Dünen erodieren, desto realistischer wird die Bedrohung dauerhafter Überflutungen.“
Auf dem Old Course betrifft das nach Angaben eines Sprechers des St. Andrews Links Trust, der die sieben Kurse rund um „Old Grey Town“ verwaltet, vor allem das achte Loch. Ohne Schutzmaßnahmen könne die Par-3-Bahn namens „Short“ tatsächlich irgendwann überflutet werden: „Der Geländebereich liegt sehr niedrig sowie nah am Wasser und ist entsprechend verwundbar.“
Besonders plakatives Beispiel für Horrorszenarien
Das „Home of Golf“ ist allerdings bloß ein besonders plakatives Beispiel des Horrorszenarios von in der See versinkenden Linkskursen. Erst recht, weil dort 2022 – wenn auch die BBC ihr Jahrhundert-Jubiläum feiert – die 150. Open Championship stattfindet. Da horcht man allerorten in den Redaktionen der Golf-Medien besonders auf. Für entsprechende Schreckensmeldungen und aufmerksamkeitsstarke Schlagzeilen, wie sie jetzt allenthalben kursieren, braucht’s freilich nicht den 26. Klima-Gipfel der Staats- und Regierungschefs aus aller Welt: Aufmerksame Beobachter notieren und publizieren bereits seit Jahren die bedrohlichen Auswirkungen des Klimawandels auch für „Golf as it was meant to be“.
„Wir haben vielleicht noch 20 Jahre“
Beispielsweise auf Englands ältestem Golfplatz. Der Royal North Devon Golf Club verliert sukzessive Flächen an den Atlantik. General Manager Mark Evans erklärte schon vor Jahren, dass vor allem die Frühjahrsstürme den Flächen des fast 160 Jahre alten Linkskurses in Westward Ho! extrem zusetzen. Der achte Abschlag ist schon zu Teilen ins Meer gewaschen worden, überdies gilt das siebte Grün als besonderes gefährdet. Nach Angaben von Evans ist die Erosion seit 2015 in manchen Bereich über 15 Meter tief ins Land vorgedrungen: „Wenn das so weiter geht, haben wir vielleicht noch 20 Jahre.“
Im Jahr 2100 könnten alle Linkskurse verschwunden sein
Zurück nach Schottland, wo nun mal jeder sechste Golfplatz an der Küste liegt, von der allerdings lediglich sechs Prozent mit Schutzmaßnahmen gegen die zerstörerische Kraft des Wassers ausgestattet sind. Zum Vergleich: In England und Wales werden 44 Prozent der Küste protektiert, in Nordirland sind es 32 Prozent. Großbritanniens führende Umweltorganisation „The Climate Coalition“, ein Verbund von 130 Organisationen wie WWF, Greenpeace oder Oxfam, die sich mit den Auswirkungen des Klimawandels befassen, vermittelt apokalyptische Aussichten: „Golfplätze werden sukzessive ins Meer bröckeln“, bis zum Jahr 2100 könnten alle Linkskurse an den Küsten Großbritanniens überspült oder abgetragen sein.
Montrose droht ins Meer zu kippen
Beispiel Montrose Golf Links. Die Nordsee nagt unerbittlich am fünftälteste Parcours der Welt, auf denen seit 1562 Golf gespielt wird; sie kriecht unter das Geläuf, wäscht das sandige Fundament von Fairways und Grüns aus. Steter Tropfen höhlt den Stein, könnte man sagen: Immer wieder lösen sich begraste Brocken und stürzen auf den Strand, so wie ein Gletscher kalbt. Die 15 Jahre alten hölzernen Schutzzäune leisten der Erosion keinen Widerstand mehr, das originäre sechste Loch ist seit 1994 verschwunden, insgesamt vier Bahnen mussten bereits verkürzt oder landeinwärts verlegt werden.
Jedes Jahr verliert Montrose so zwei Meter Gelände, um 70 Meter hat sich die Nordsee in den vergangenen 30 Jahren nach Berechnungen des Forschers Fraser Milne von der Universität Dundee vorgearbeitet: Das gesamte ikonische Ensemble droht ins Meer zu kippen; Sandaufschüttungen, gewonnen durch die Vertiefung des Hafenbeckens von Port Montrose, können den Verfall allenfalls verlangsamen.
Vegetation als Küstenschutz in Dornoch
Ähnliche Probleme finden sich gut 250 Kilometer weiter nördlich, wo mit Royal Dornoch ein Platz liegt, der in sämtlichen Rankings unter den Besten der Welt geführt wird. Auch dort ist die zerfledderte Küstenlinie des Dornoch Firth extrem anfällig für die zerstörerische Wirkung des Wassers, besonders betroffen ist Dornochs zweiter Kurs, der Struie, und seine zehnte Bahn. 2018 ließ man an besonders prekären Stellen unter Zuhilfenahme von wissenschaftlicher Betreuung Hunderte von Salzwasser resistenten Gewächsen pflanzen, um den natürlichen Küstenschutz wiederherzustellen.
„Der Klimawandel beeinflusst erheblich die Möglichkeiten, künftig unseren geliebten Sport auszuüben oder als Zuschauer zu verfolgen“, lautet die düstere Deutung in der „Climate Coalition“-Studie. Das extreme Wetter wirke sich bereits auf das Aufkommen an Golfrunden und mithin auf die Einnahmen aus.
So was ruft natürlich den R&A auf den Plan. Die Sachwalter des Golfsports haben das Thema „Coastal Change Action Plan“ als signifikanten Punkt in ihr Umwelt- und Nachhaltigkeitsprogramm „Golf Course 2030“ aufgenommen und in Zusammenarbeit mit der Universität von St. Andrews ein Forschungsprojekt angestrengt, das die Situation aller Linkskurse in Großbritannien und Irland erfassen und anhand von fünf Beispielen eine tief gehende Analyse samt Lösungsmöglichkeiten erarbeiten soll. Einer dieser fünf Plätze ist definitiv der Old Course – die Bedrohung ihres Kronjuwels hat den Granden im Home of Golf einen Heidenschreck eingejagt.
Der Old Course droht bei voranschreitendem Klimawandle zu versinken. Grund genug, sich die Schönheit des Kurses nochmal vor Augen zu führen.
Schreckensvision: Swilcan Bridge von Wellen umspült
Nach Aussage des Projektleiters und Uni-Professors Bill Austin soll die Methodik der Untersuchungen am Beispiel des Old Course und mit Unterstützung der Greenkeeper des Links Trust erarbeitet und dann auf die vier anderen Plätze übertragen werden. „Ich bin kein verbissener Golfer“, sagt Austin. „Von daher besteht nicht die Gefahr, dass wir uns mit dem Projekt bloß auf Championship-Kurse fokussieren. Im Gegenteil: Wir brauche eine große Bandbreite unterschiedlicher Platztypen. Denn bei allen spielt der maritime Einfluss eine bedeutende Rolle für ihr Überleben.“
Derweil wird am unteren Ende des Strands von St. Andrews – dort, wo dunnemals Old Tom Morris fürs abhärtende tägliche Bad in die Nordsee watete – Sand entnommen und in dem von Erosion besonders betroffenen Bereich aufgetragen. Auf dass nicht irgendwann die Wellen ans Bankett der Golf Road schlagen, von der die Alma Mater des Sports an der Landseite flankiert wird, während bloß noch die obersten Bogensteine der Swilcan Bridge als Mahnmal des menschenversursachten Misstands. „Seit 600 Jahren wird hier Golf gespielt“, heißt es beim Links Trust. „Und das sollte auch weiterhin Hunderte von Jahren möglich sein.“