Marcel Siem legte bei der European Open im letzten Jahr eine große Show hin. Haarscharf verpasste der Publikumsliebling den Sieg. Nun ist er wieder in Hamburg, doch zum Favoritenkreis zählt er sich nach seiner Hüft-OP diesmal nicht. Er wolle den Cut schaffen, sagt er. Wie er sich nach der langen Abwesenheit fühlt, welche Schwächen er nach der Reha noch hat und warum er drei Tage lang nur Sauerteigbrot gegessen hat, berichtet er im Interview.
Marcel Siem im Interview vor der European Open
Frage: Marcel, letztes Jahr hatten wir ein riesiges Golffest, auch dank deines Zutuns war es ein großes Spektakel. Worauf freust du dich denn in diesem Jahr?
Marcel Siem: Erst einmal darauf, dass sich das Wetter bessert. Da würde ich mich tierisch drüber freuen. Dann rechne ich mir auch ein bisschen bessere Chancen aus, weil meine Hüfte bei dem Wetter nicht ganz so gut funktioniert wie wenn es warm ist, habe ich jetzt gemerkt. [Marcel Siem ließ sich kürzlich an der Hüfte operieren und gab letzte Woche nach über zwei Monaten Pause sein Comeback in Belgien]
Da brauche ich wahrscheinlich noch ein bisschen Zeit. Ich gebe alles, dass hier so etwas Ähnliches passieren könnte, wie letztes Jahr. Im ganzen Team haben wir gesagt, dass es ein Erfolg ist, wenn ich den Cut schaffe. Ich werde jetzt hier keine großen Ansagen machen. Ich habe gesagt, dass ich nächstes Jahr um den Sieg spielen will. Was dieses Jahr passiert, das ist echt eine Surprise-Box. Da weiß ich einfach nicht, was passiert. Aber ich werde alles geben, um das Turnier so gut wie möglich zu unterstützen.
Frage: Wie geht es dir jetzt nach deiner Verletzungspause?
Marcel Siem: Eigentlich gut, muss ich sagen. Jeden Tag wird es besser, ich kriege jeden Tag mehr Kraft. Letzte Woche in Belgien war das Wetter ähnlich wie hier. Wenn es kalt ist und regnerisch, fehlt mir einfach die Koordination in der Hüfte. Wenn es warm ist, dann feuert das Ding und wenn es kalt ist, muss ich meiner Hüfte sagen: 'Beweg dich!' Das ist leider noch so. Dann übersteuere ich teilweise so ein bisschen, dann geht der Ball rechts weg. Ich hätte eine andere Option gehabt, dass ich jetzt noch zwei Monate im Gym dran gehangen hätte, um die Muskulatur, die jetzt noch nicht perfekt ausgereift ist, aufbauen zu können.
Aber ich wollte unbedingt hier aufteen und mein Gefühl hätte, glaube ich, auch noch länger darunter gelitten, wenn ich jetzt kein Turniergolf gespielt hätte. Und ich bin froh, dass ich jetzt hier mitspielen kann und wenn ich mir Backpfeifen abhole, ist das so. Das wird, glaube ich, das Schwerste in der ganzen Geschichte.
Ich habe keine Schmerzen in der Hüfte, aber mit den Misserfolgen umzugehen, gerade vor heimischem Publikum, könnte natürlich ein bisschen schwer werden. Ich bin ja relativ emotional was das angeht, aber da muss ich durch. Mein Hauptziel ist, dass ich zur Scottish Open und zur British Open topfit bin, um dann am Ende des Jahres eine geile Saison gespielt haben zu können.
Marcel Siem: "Dann holst du dir Backpfeifen ab"
Frage: Ein Vorteil für dich könnte ja sein, dass du den Platz wahrscheinlich neben Freddy Schott wie kein anderer hier kennst. Was erwartet die Spieler? In welchem Zustand ist der Platz?
Marcel Siem: Mega! Es kam extrem viel Regen runter, trotzdem sind die Grüns knochenhart. Wirklich knochenhart. Ich habe Wedges gehauen, der Ball geht nach vorne und spinnt dann zurück. Ich habe keine Ahnung, wie die das hinbekommen haben. Aber die Grüns sind so gut, wie sie noch nie waren. Sie sind schneller, fester und härter. Das Rough ist hoch, jetzt haben sie auch noch im US-Open-Style den Second Cut entgegengesetzt der Spielrichtung gebürstet. Also richtig asozial, aber ich liebe das.
Ich weiß, wie sehr der Platz seine Zähne zeigen kann. Ich glaube aber, ein paar neue Spieler, die hier sind, die werden erstmal eine Fresse ziehen und sagen, 'Was ist denn das hier?' Mein Caddy meinte auch, es sei eine 'never ending story'. 'Kommt mal ein leichtes Loch', hat er gefragt. Aber der Kurs ist in einem Mega-Zustand, also wird es ein geiles Turnier.
Frage: Ist es denn für dich speziell ein Vorteil, dass du den Platz gut kennst? Was erwartet die, die zum ersten Mal hier spielen?
Marcel Siem: Ich denke schon, klar. Ich muss aufpassen, dass ich nicht versuche, beim Driver mehr Länge rauszuholen. Bei mir fehlen einfach 10 bis 15 Meter momentan. Wenn du die Fairays triffst, dann hast du halt ein Eisen-4, Eisen-5 in die Par-4s, was mir gut liegt normalerweise. Das habe ich ja schon oft gesagt, du brauchst Geduld auf diesem Golfplatz. Wenn du anfängst rumzuballern und sagst, jetzt ist es nass, es ist kalt, jetzt muss ich nochmal zehn Meter rauskitzeln, dann holst du dir Backpfeifen ab. Wenn ich cool bleibe - ich spiele mit Hojgaard, der ist nicht der Kürzeste - wenn mein Ego das mitmacht und sagt, dann bin ich halt 40 Meter hinten, dann ist alles okay.
Frage: Du hast gesagt, du zählst dich dieses Jahr nicht zum Favoritenkreis. Wer ist denn der Favoritenkreis für dich?
Marcel Siem: Also ich habe extrem wenig Golf geguckt und habe auch extrem wenig Golf gespielt dieses Jahr. Deswegen bin ich, glaube ich, der falsche Mann. Freddy Schott kennt den Platz sehr gut. Ich glaube, das ist wirklich einer der Golfplätze, wo der Heimvorteil wirklich ausschlaggebend ist. Und Freddy, der ist auf jeden Fall bei meinen Favoriten dabei. Der ist heiß wie Frittenfett. Das hilft natürlich auch immer. Hojgaard ist natürlich auch immer jemand, der so einen Golfplatz gut spielen kann. Danny Willett war auch verletzt. Ich weiß gar nicht, ob der die Kugel trifft oder nicht. Vom Namen her würde ich mal sagen schon. Taktisch spielen kann er auch. Die anderen Jungs... Wie gesagt, ich habe nicht viel Golf geguckt, ich weiß nicht.
Frage: Seit 2017 wird das Turnier hier in Green Eagle gespielt. Wir haben in all den Jahren einen Gewinner gehabt, Paul Casey, der als Star und Favorit hierher gekommen ist und sonst sehr viele 'first-time-winner' oder Talente wie Tommy McKibbin letztes Jahr. Hast du eine Erklärung dafür?
Marcel Siem: Weil du hier den Golfplatz nur über Kampf bezwingen kannst. Du musst voll da sein, du musst hochmotiviert sein, der Golfplatz macht nicht unbedingt Spaß, wenn du da als Superstar hinkommst und dir die ersten zwei Backpfeifen abholst auf den ersten Neun, kann einem die Lust vergehen. Für die jüngeren Spieler, die einfach viel heißer sind und um ihre Tourkarte kämpfen, wo es bei jedem Turnier um Leben und Tod geht, ist das der richtige Golfplatz, weil du wirklich sehr akribisch arbeiten musst und aufpassen musst, was du machst. Wenn du hier einfach hingehst und sagst, 'ich lass mal laufen, ich will Birdies machen', dann funktioniert das nicht.
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Marcel Siem braucht noch Aufbautraining
Frage: Kurz auf deine Verletzung zurück: Kannst du dich genauso frei bewegen wie vorher, bist du noch irgendwie eingeschränkt?
Marcel Siem: Nein, ich habe eigentlich einen größeren Bewegungsradius, deswegen haben wir es auch gemacht, mit dem Knochen, der weggeschliffen wurde. Ich bin beweglicher, nur ist die Muskulatur noch zu schwach. Fünf Wochen Krücken... Ich hätte nicht gedacht, dass die Muskeldegeneration so schlimm ist. Ich habe gar keine Schmerzen, nur schützt die Muskulatur und das Nervensystem natürlich das, was da behandelt wurde.
Ich habe gestern eine Kraftmessung gemacht, um zu sehen, wie die Balance ist, damit ich das so schnell wie möglich mit den richtigen Übungen hinbekomme. Aber grundsätzlich ist das Ding super verheilt, ich habe mehrere MRT's danach gemacht und immer zum Doc geschickt und der ist super happy. Da ist keine Entzündung, da ist gar nichts und im Vergleich zur rechten Hüfte sieht das Ding wie neu aus. Für die Zukunft ist alles gut, es ist nur die Frage der Zeit bis das Selbstvertrauen zurückkommt, dass ich auch mal Gas geben kann. Gestern Abend zum Beispiel, wo es warm war, habe ich 119 Mph Schlägerkopfgeschwindigkeit auf dem Trackman gehabt und das war geil. Vor zwei Wochen war ich bei 114, dann habe ich einmal 116 geschafft, heute morgen waren es dann wieder nur 110. Ich merke, dass ich da hinkomme, Stück für Stück, gerade wenn es warm ist. Wenn die Muskulatur so stark wird, dass ich bei kühlen Temperaturen auch wieder bei 113, 114 bin, dann bin ich wieder da.
Frage: Du wohnst mit deiner Familie mittlerweile auf Mauritius. Gibt es denn da irgendwas spezifisch Deutsches, das dir fehlt oder auf das du dich ganz besonders freust, wenn du nach Deutschland kommst?
Marcel Siem: Die Autobahn, obwohl die jetzt auch immer voll war, aber mal ein bisschen Gas geben, das hat mir schon sehr gefehlt. Das Essen ist super auf Mauritius, aber ein Schnitzel und jetzt die Spargel-Zeit... das ist so geil. Grünen Spargel gibt es natürlich auf Mauritius die ganze Zeit, aber den weißen Spargel mit Kartöffelchen und Schnitzel und Schinken, das hat mir schon sehr gefehlt und auch die Brötchen und der Aufschnitt. Ich glaube, wir haben drei Tage am Stück, Frühstück und Nachmittag nur Aufschnitt und Sauerteigbrot gegessen.