Sattgrün und saftig liegen die Bahnen des Goethe-Course im Tal von Blankenhain, wo einst sein Namensgeber lustwandelte, der Geheimrat aus Weimar und Deutschlands größter Dichter. Die Grüns sind frisch geschoren, die Fahnen wehen träge im sanften Nachmittagswind. Keine Menschenseele weit und breit. Die Greenkeeper des Spa & GolfResort Weimarer Land haben ihr Tagwerk längst beendet; andere Golfer gibt es nicht; „über allen Gipfeln ist Ruh’“, hätte Goethe vielleicht auch hierzu geschrieben.
Was für eine Idylle inmitten der ohnehin lieblichen Thüringer Landschaft, was für ein surreales Szenario: die Wiese ganz für sich allein zu haben; in aller Seelenruhe Bälle zu schlagen und so entspannt vor sich hin zu trotten, dass einem sogar der lange Schatten wegzulaufen scheint, den die allmählich tief stehende Sonne erzeugt. Slow Play, das niemanden nervt, während es sonst heißt: Deine Position auf dem Platz sollte hinter der Gruppe vor dir sein, nicht vor der Gruppe hinter dir.
Man wird ja noch mal träumen dürfen
Man wird ja noch mal träumen dürfen: von einem perfekt in die Lücke des Baumbestands geschlagenen Drive auf der Dogleg-links-Zwei. Vom Nearest to the Pin auf der 155 Meter langen Drei, wo das Wasser gar nicht so nah am Grün ist wie es scheint. Vom „Pipe Down the Middle“ auf Bahn sechs unterhalb der Fußballtrainingsanlage des Resorts. Vom cleveren Ausspielen der frontal arrangierten Bunker auf der Neun, mit den gelben Bienenstöcken des Golf- und Bienenfreunds Horst Kämpfer im Hintergrund. Von einer perfekt platzierten Holz drei auf Loch zwölf, dem Signature Hole des Platzes, das den Ball in bequeme Wedge-Distanz zur Fahne bugsiert.
Oder von einem Lob Shot über Bäume, Bach und Brücke im Approach-Bereich der 16, samt Tap-in zum Birdie. Oder vom Green in Regulation auf der ellenlangen Par-5-17, bevor dann die Schlussbahn mit der schon berühmten Champagner-Eiche kommt, die zu treffen den Score ruiniert und den Geldbeutel strapaziert – weil laut Local Rule dann am 19. Loch mindestens eine Runde … „Hey, Sportsfreund“, unterbricht ein vorbeikommender Radler den Tagtraum. „Hier kommt heute keiner.“
Die golfenden Three Lions und die Hoffnungen der Fans
Ich weiß. Während im Kopfkino mein Match läuft, stimmt sich Englands Auswahl auf ihr letztes EM-Vorrundenspiel gegen Slowenien ein, das 0:0 enden wird. Der Fußballverband The FA hat für diese EURO 2024 das Team Basecamp in dieser „Wohlfühloase“ (Eigenwerbung) aufgeschlagen, und wenn die kickende Klientel „zu Hause“ sind, versammeln sich an dieser Stelle des öffentlichen Wegs, der an zwei Stellen durch den Goethe-Course schneidet, gern zwei bis drei Dutzend Fans aus den umliegenden Ortschaften, um einen Blick auf die Golfer unter den Three Lions zu erhaschen, womöglich ein Autogramm zu kriegend. Oder ein Selfie mit Kapitän Harry Kane, beim Spiel mit dem kleinen weißen Ball ebenfalls der Leader of the Gang – das wär’ das Höchste.
„Über Blankenhain wird in diesen Tagen mehr gesprochen als über Goethe und Schiller und Weimar“, freut sich meine Zufallsbegegnung und steigt nach einem kurzen Wortwechsel wieder in die Pedale. Das stimmt wohl. Die Rechnung von Weimarer-Land-Inhaber Matthias Grafe, Stadt Blankenhain, Landesentwicklungsgesellschaft (LEG) Thüringen und thüringischer Landesregierung geht auf. „Im Sommer wird sechs Wochen lang jeden Tag irgendwo Weimarer Land erwähnt sein“, hat Grafe schon lange vor der EM als Parole ausgegeben. Und der Unternehmer meint damit nicht allein sein Resort, sondern die gesamte Region.
Große Resonanz für Thüringen durch DFB-Trainingslager
Schon das Trainingslager der deutschen Nationalmannschaft Ende Mai hat eine Menge bewirkt. Fast 12.000 Medienbeiträge „mit einem Anzeigenäquivalenzwert von 116,9 Mio. Euro netto“ wurden in einschlägigen Analysen und Befragungen notiert. Thüringens Vorzüge in puncto Kultur, Geschichte und Natur werden seither noch stärker wahrgenommen – nicht zuletzt dank einer Begleitkampagne des Landesmarketings. Und der Aufenthalt von Bundestrainer Julian Nagelsmanns Mannen hat das Ansehen des Freistaats als Urlaubs- und Erholungsziel signifikant erhöht. „Mit dem Trainingslager des DFB-Teams haben wir das bundesweite Ansehen von Thüringen erhöht“, lautet das diesbezügliche Fazit von Wirtschaftsminister Wolfgang Tiefensee.
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Furcht vor Paparazzi und Spionen
Die Engländer steuern garantiert ebenfalls ihr Teil bei, obwohl The FA das Resort in einen Hochsicherheitsbereich verwandelt hat. Man fürchtet Paparazzi und andere „Kiebitze“ mit Kameras, die Kapitän Kane und Co. liebend gern auf der Frühstücksterrasse, am Pool oder beim Family Day mit den Lieben erwischen wollen. Und der Goethe-Course gehört allein schon deshalb zum Sperrbezirk, weil mittendrin das Übungsareal liegt, wo Chefcoach Gareth Southgate und sein Trainerstab die Choreografie der Three Lions einstudieren lassen und sich dabei nicht von Spionen in die Karten schauen lassen wollen – als ob davon bisher angesichts der Vorrundenvorstellungen des Teams was zur Nachahmung empfehlenswert gewesen wäre. Ironie wieder aus.
Englische Elitekicker auf den öffentlichen Plätzen des Resorts
Immerhin sind der Feininger-Course und der Königin Luise 9-Loch-Course für die Allgemeinheit offen, für Mitglieder und Greenfeegäste – samt improvisierter, gleichwohl charmanter Golfrezeption und Golfgastronomie, die aufs Areal der Reitanlage Gut Krakau am Rand von Blankenhain ausgelagert wurde. Pikanterweise scheinen die englischen Elitekicker selbst nicht viel von der Abschottungsattitüde ihres Verbands zu halten. Immer wieder werden Spieler gesichtet, die in Golfcarts auf dem Weg zum Kurzplatz die Sicherheitsabsperrungen „durchbrechen“. Jude Bellingham soll sogar schon im Ort gewesen sein, allerdings hat sich der Zauberfuß von Real Madrid wohl bloß verfranzt.
„Wir sind es halt gewohnt, die Wünsche unserer Gäste zu erfüllen“, schmunzelt Matthias Grafe über den unfreiwilligen Alltagsabstecher des England-Jungstars. Im Ernst: „Mein Hauptziel ist es, mit den Menschen in Blankenhain, diesen Ort weiterzuentwickeln.“
1,5 Millionen an Landesmitteln für Blankenhainer Infrastruktur
Auch deswegen hat er drei Jahre lang insgeheim an diesem Abenteuer EM-Quartier gebastelt. Und die thüringische Politik hat mitgezogen und 1,5 Millionen Euro an Sondermitteln für die Infrastruktur in Blankenhain locker gemacht. Das ist Grafe wichtig. Denn immer wieder werden übelwollende oder neidische Stimmen laut und verbreiten, alles komme bloß Grafe zugute. Von wegen. Der städtische Sportplatz und der Schlossplatz in Blankenhain wurden saniert, das Schloss als Medienzentrum hergerichtet und die entsprechenden Kommunikationsmaßnahmen kreiert, frei nach der Devise: Tue Gutes und rede darüber.
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Was im Resort ausgebaut und installiert wurde, hat Gastgeber Grafe aus eigener Tasche bestritten, um seine Anlage mit Padel-Tennis-Court und vielem mehr auf Fußballerfreundlichkeit zu trimmen und andererseits die mannigfachen Sicherheitsbedürfnisse des englischen Verbands zu erfüllen, ebenfalls eine gewiss siebenstellige Summe. Vom Personaleinsatz gar nicht zu reden. Indes: „Nach der Resonanz, die ich habe, sind alle glücklich und zufrieden“, sagt er.
UEFA-Lob für Fußballrasen der Trainingsanlage
Die Rasenfläche der Fußballanlage wurde von den Experten der UEFA sowieso zur qualitativ besten in EURO-Deutschland erklärt, um die das Weimarer Land vermutlich gleichermaßen von der einen oder anderen Spielstätte dieser EM beneidet wird, Stichwort Frankfurt. „Ja, Rasen können wir“, sagt Grafe dazu, der überdies die Fanmeile am Blankenhainer Schwimmbad unterstützt, wo bei Deutschland- und Englandspielen Public Viewing stattfindet. Er schickte seinen Michelin-Sternekoch Danny Schwabe zum Weimarer Land Food Masters, bei dem im Rahmen eines Get-together deutschen und englischen Medienmenschen heimische Kulinarik serviert wurde. Und er schwatzte den isolationistischen Engländern wenigstens zwei von Harry Kane beziehungsweise Gareth Soutgate unterschriebene Trikots ab, die dann beim Deutschlandspiel gegen die Schweiz unter den Kids auf der Fanmeile verlost wurden.
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Dazu passt, was Grafe klargestellt hat, als das Engagement in Sachen EM bekannt wurde: „Wir hier in Blankenhain investieren in die Zukunft. Und in den Sommer. Diese Stadt wird sich zu einer touristischen Hochburg in Thüringen entwickeln.“ Der Claim ist gesteckt.
Kaltgetränk auf der zweckentfremdeten Reitanlage
Ach übrigens, in meinem Tagtraum von der Einsamkeit des Golfers habe ich die Champagner-Eiche natürlich getroffen. Also lade ich mich anschließend auf ein reales Kaltgetränk am Verpflegungswagen im zweckentfremdeten Round-Pen von Gut Krakau ein. Das war schönes Spiel – zwar nur zwischen den Ohren, aber dort findet Golf ja bekanntlich zuvorderst statt.