Love is in the air
Die Grafschaft Cornwall im äußersten Südwesten Englands zählt bei der deutsch-sprachigen Bevölkerung zu den beliebtesten Reisezielen im Vereinigten Königreich. Mehr als 50 Prozent der ausländischen Gäste kommen aus der D-A-CH Region. Maßgeblichen Anteil hieran hat die britische Bestseller-Autorin Rosamunde Pilcher, die mit ihren Liebesgeschichten seit vielen Jahren das Fernsehpublikum fesselt. Allein das ZDF hat seit 1993 mehr als 170 Episoden ihrer Romane und Kurzgeschichten in der Herzkino-Reihe verfilmt.
Wir möchten uns persönlich davon überzeugen, wie es in dem Landstrich aussieht, der von Atlantik, Ärmelkanal und Keltischer See umgeben ist und ob dort die Liebe tatsächlich in der Luft liegt. Und was dessen Spitzengolfplatz ausmacht.
Aufgepasst im Linksverkehr
Wir entscheiden uns, nicht den Flieger nach Newquay zu nehmen, sondern machen uns mit dem eigenen Pkw auf den Weg auf die Insel. Nach einer ca. zweistündigen Überfahrt mit der Fähre von Calais nach Dover heißt es sofort sehr achtsam zu sein, denn ab hier gilt nun Linksverkehr. An diesen gewöhnen wir uns ebenso schnell wie an die für uns unüblichen Roundabouts, deren Funktionieren kein Hexenwerk ist. Im Gegensatz zum Fahren ist das Gehen jedoch eine echte Herausforderung, denn zu Beginn blicke ich beim Überqueren der Straße grundsätzlich in die falsche Richtung.
Auf der Fahrt in den äußersten westlichen Zipfel der HalbInsel übernachten wir zunächst in Salisbury und tags darauf in Torquay, das weiter im Süden in Devon an der englischen Riviera liegt.
Von dort fahren wir quer durch Cornwall bis an die nördliche Küste der Grafschaft. Ein erster Höhepunkt ist der Ort Tintagel, wo wir bei schönstem Wetter die traumhafte Aussicht von den steilen Klippen auf das grünblaue Meer genießen. Hier befinden sich die Reste des Tintagel Castle’s, in dem König Artus (King Arthur) gezeugt worden sein soll. Wir erreichen es nach Überqueren einer beeindruckende Brücke und treffen auf eine 2,40 m hohe Skulptur. Tief unten im Felsen stoßen wir auf Merlin’s Cave, der Höhle, in der der Säugling Artus durch den Zauberer Merlin in Sicherheit gebracht wurde.
Aussteigen und Weglaufen ist keine Alternative
Bisher verläuft verkehrstechnisch alles entspannt. Das ändert sich schlagartig, als wir die Hauptstrasse verlassen und eine kleine Seitenstraße entlang der Küste zu unserer Unterkunft nehmen müssen. Wir vermuten, dass wir das Einbahnstraßenschild übersehen haben, denn sie ist nicht mehr als drei Meter breit und wird von dichten, hohen Büschen begleitet. Jedoch weit verfehlt.
Als uns ein SUV entgegenkommt und ich einen weiteren in meinem Rückspiegel sehe, der fast schon an meiner Stoßstange klebt, steigt mein Adrenalinspiegel gewaltig. Ich setze langsam zurück und rangiere solange, bis ich eine kleine Nische am Rand des Weges finde. Diese Art der Fortbewegung wird in den nächsten Tagen zur Normalität. Zum Glück werden wir mit unserem deutschen Nummernschild schnell als Gäste erkannt und treffen auf viel Verständnis der kornischen Bevölkerung. Wir arrangieren uns und kommen auch auf den engsten Gassen voran.
Wo Golf auf den Atlantic trifft
Am nächsten Morgen begrüßt uns typisches britisches Wetter. Beim Blick aus dem Fenster überlegen wir, unsere Golfrunde zu verschieben, doch wir wollen keine Warmduscher sein, ziehen unsere Regenkleidung an und fahren zum St. Enodoc Golf Club nach Rock.
Der Championship Links Platz liegt auf hohen Dünen, direkt an der riesigen Bucht der Camel-Mündung mit atemberaubenden Panoramaaussichten auf den Atlantik.
Dessen Church Course (der zweite, der Holywell Course, ist kürzer und weniger herausfordernd) gilt als einer der schönsten ganz Englands. Offiziell gegründet wurde er in den gewaltigen Dünen des Örtchens Rock in 1890. 1907 gestaltete der bekannte Golfplatz-Architekt James Braid die ersten 18 Löcher. Bis heute sind immer wieder Anpassungen vorgenommen worden, wobei das ursprüngliche Layout im wesentlichen beibehalten wurde. 1987 erwarb ihn der Club vom Herzogtum Cornwall.
Er liegt in einer der trockensten Gemeinden Cornwalls. Seine Lage auf Sand garantiert das ganze Jahr ausgezeichnete Golfbedingungen. Dank des warmen Golfstromklimas ist Frost eine Seltenheit.
‚A warm summer breeze‘
So beschreibt der Marshal die aktuellen Wetterbedingungen. Na gut, wir haben gefühlte 18 Grad und beim Start zum Glück nur wenig Wind. Wir hätten Glück, denn aufgrund der Feuchtigkeit sollen die ansonst pfeilschnellen und betonharten Grüns ‚playable‘ sein.
Da unsere Wetter-App für den späteren Nachmittag Starkregen vorhersagt, sind wir froh, schon weit vor unserer gebuchten Startzeit starten zu können. Es nieselt leicht und der Wind hält sich in Grenzen.
Abgeschlagen wird von vier unterschiedlichen Tees. Auf Empfehlung des Marshals schlage ich von Gelb ab. Von hier hat der Par 69 Course eine Länge von 6.108 Yards. Frauen starten wie üblich von rot und haben 5.657 Yards zu überwinden. Der Platz verfügt lediglich über zwei Par 5, aber über fünf Par 3, deren längstes Loch für mich 200 Yards misst.
Vor uns breitet sich das wellige, weite Fairway der Eins, einem der beiden Par 5, aus. Auf diesem steht eine Stange, die als Richtung für den Drive dient, denn dieser ist ein blinder Schlag. Im Hintergrund sehen wir das Meer, das sich zu Beginn unserer Runde aufgrund der Ebbe stark zurückgezogen hat.
Der Platz ist weitaus hügeliger als erwartet. Es geht ständig bergauf und -ab, zum Teil mit erheblichen Höhenunterschieden. An einigen blinden Abschlägen verlieren wir die Orientierung und wissen zunächst nicht so richtig, in welche Richtung der Drive zu schlagen ist. Hauptsache ist, das wir das vor uns liegende Rough der Düne überwinden. Leider gelingt das nicht immer.
Zahlreiche Spaziergänger kreuzen die Spielbahnen auf Wegen, die sich am Rand, aber auch quer über den Platz befinden. Sie genießen Vorrang vor den Golfern und sind durchzulassen, bis sie nicht mehr in Gefahr sind.
In nicht wenigen Fällen werden sie von ihren Vierbeinern begleitet. Einer davon leistet mir zumindest an einer Bahn echte Hilfe, indem er meinen nicht optimal platzierten Abschlag aufsammelt und mitten auf dem Fairway ablegt. Well trained. Doch auch Golfer können ihre Pets mit auf den Platz nehmen. Dies ist selbst auf einem Top-Platz wie diesem in England üblich. An speziellen Mülleimern, die mit ‚Dog Waste‘ gekennzeichnet sind, können die Frauchen und Herrchen dann die Entsorgung deren Hinterlassenschaften vornehmen.
Höhlenartiger Bunker
Auf der sechsten Bahn treffen wir auf einen riesigen Bunker mit dem Namen The Himalaya. Er soll der höchste seiner Art in England sein. Zum Glück treffe ich ihn nicht, dafür aber die links davor befindliche Düne. Nach einem ungewöhnlichen Recovery-Schlag geht’s weiter.
Hintergrund des Platznamens
Das schwierigste und zugleich beeindruckendste Loch ist die Zehn, das mit der Sechs um das Signature Hole des Platzes konkurriert. Vom stark erhöhten Abschlag spielen wir den Ball über eine frontal verlaufende Mauer und einen Weg in die nicht sehr großzügige Landezone. Von dort sollte man den Ball rechts halten, denn links droht Gefahr durch Wasser. Neben dem Grün wird dann auf der rechten Seite deutlich, woher der Platz seinen Namen hat.
Wo gibt es schon eine Kirche und einen Friedhof, die sich zwischen einzelnen Bahnen eines Golfplatzes befinden? Wir statten der freigelegten Normannen-Kirche aus dem 12. Jahrhundert einen kurzen Besuch ab und kommen abermals an dem erhöht liegenden Abschlag der 14 hinter ihr vorbei. Sir John Betjeman, ein namhafter Dichter und Poet, liegt hier seit 1984 begraben.
Die anschließende 15 ist direkt auf den Atlantik ausgerichtet. Wie uns der Marshal mitteilt, fällt die Schlägerwahl bei dem abschüssigen 152 Yards langen Par 3 je nach Windrichtung äußerst unterschiedlich aus. Sie kann zwischen einem Eisen Acht und einem Driver variieren. Ich nehme mein Eisen Sieben und treffe zum Glück das Grün.
Hier angekommen, sind wir bereits völlig durchnässt. Unsere triefenden Handschuhe haben wir schon längst im Bag verstaut. Die Wetter-Vorhersage hat sich leider erfüllt und es gießt in Strömen. Der Wind bläst nun kräftig. Wir geben alles auf der 16, dem zweiten Par 5, dem nachfolgenden Par 3 und dem abschließenden Par 4.
Trotz der ungünstigen Wetterbedingungen verlassen wir den Platz äüßerst zufrieden. In den vergangenen Jahren haben wir die Links-Golfplätze auf der Insel nur bei Sonnenschein und relativer Windstille erlebt. Jetzt wissen wir auch, wie sie sich bei typisch britischem Wetter spielen.
Wir werden keinen Moment unserer Runde auf diesem großartigen Platz, der von top100GolfCourses.com in 2022 an den Positionen 74 weltweit, an 10 in England und an 1 in Cornwall gerankt wurde, vergessen.
Padstow hat eine Menge zu bieten
Auf der anderen Seite der Bucht befindet sich der Hafen des kleinen charmanten Städtchens Padstow, das sämtliche Klichées eines kornischen Fischerörtchens erfüllt. Die große Zeit der Fischerei ist zwar vorbei, doch werden weiterhin u.a. noch täglich frische Hummer und Krebse angeliefert.
Die dreisten, riesigen Möwen scheinen vor Nichts Furcht zu haben und prägen aktustisch das Bild des Örtchens. Hier reihen sich mit Fähnchen versehene Pubs, schön dekorierte kleine Shops und etliche Seafood- Restaurants aneinander.
Das Preisniveau in Cornwall entspricht dem einer beliebten Touristen-Destination. Sowohl die Kosten für die gewählten Übernachtungen als auch die für die Speisen und Getränke in Restaurants befinden sich im höheren Segment.
Mekka für Rosamunde Pilcher-Fans
Eines der Aushängeschilder des Ortes ist das Schloss Prideaux Place mit seinem beeindruckenden 18 Hektar großem Park und seinen 81 Zimmern. Es ist das einzige seiner Art, das sich im Privatbesitz befindet und gleichzeitig bewohnt wird. Dennoch ist es für die Öffentlichkeit zugänglich. Bei der Prideaux-Familie handelt es sich um ein altes Geschlecht aus Cornwall, dessen Wurzeln bis in das Jahr 1066 zurückreichen. Sie lebt seit 14 Generationen hier. Die aktuellen Eigentümer sind 1988 hierher gezogen und haben das Herrenhaus umfassend renoviert.
Das großartige Gebäude ist bekannt für seine elisabethanische und gotische Architektur und seine bestens erhaltene Inneneinrichtung. Diese haben diverse Filmproduzenten angezogen. So auch das ZDF, dass hier die Pilcher-Episoden ‚Das Ende eines Sommers’, ‚Heimkehr’ und ‚Frau auf der Klippe’ drehte.
Die äußerst informative und humorvolle Führung der deutschen Hilde Mansfield, die natürlich wegen der Liebe hierher gezogen ist und seit 32 Jahren in der Region lebt, hätte nicht besser sein können. Sie ist der lebende Beweis, dass hier Liebe in der Luft liegt. Ein Besuch dieses beeindruckenden Anwesens ist nicht nur Pilcher-Fans zu empfehlen.
Wir verlassen die Region um Tintagel und Padstow und erkunden weitere Höhepunkte des wunderschönen Cornwalls. Hierzu zählen u.a. das bezaubernde Örtchen St. Ives und das hoch über dem Meer thronende St. Mewes Castle in Falmouth. Dew Genes Kernow (good bye Cornwall).
Jürgen Linnenbürger, Juli 2024