Manche sprechen vom besten Leaderboard des Jahres und hängen die Konstellation vor diesem olympischen Golfsonntag schon statt der Mona Lisa in den Louvre: Jon Rahm, Xander Schauffele und Tommy Fleetwood, Nicolai Højgaard, Hideki Matsuyama und Rory McIlroy, Scottie Scheffler, Tom Kim und Thomas Detry – was für ein Line-up. So was gibt es sonst nur bei Majors. Und auch die drei dahinter – Ludvig Åberg, Jason Day und Thomas Detry – liegen noch in Schlagdistanz zu Gold auf einem Albatros-Kurs in Le Golf National, der bei allen Schwierigkeitsgraden durchaus tiefe Scores zulässt.
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Materialaufwand von 950 Euro
Das Dutzend wird es heute wohl unter sich ausmachen, wetteifert um drei Plaketten von hoher Symbolik mit einem sechseckigen Stück vom Eiffelturm auf der Vorderseite, eine jede zwischen 455 und 529 Gramm schwer, mit einem Durchmesser von 85 Millimetern und einer Dicke von 9,2 Millimetern. Gefertigt wurden sie vom Edeljuwelier Chaumet am Place Vendôme, aufbewahrt und präsentiert werden sie in Schatullen des Edelschusters Louis Vuitton, beide Unternehmen gehören zum Luxuswarenkonzern LVHM. Bei alldem ist die Goldmedaille lediglich vergoldet und besteht zu 95,4 Prozent aus Silber. Experten beziffern den Materialaufwand mit rund 950 Euro, bei purem Gold – letztmals 1912 so vergeben – wären es 37.691 Euro.
Oscar Wilde über Preis und Wert
Doch schon Oscar Wilde wusste: „Heute kennt man von allem den Preis, doch von nichts den Wert.“ So gesehen ist selbst die Claret Jug nur eine knapp 200 Euro teure Silberkanne und das Green Jacket eine altbackene Joppe in Maßkonfektion für 230 Euro. Der wahre Wert von Trophäen misst sich nun mal in Tradition, Mythos und Prestige. So was muss wachsen; es gewinnt an Bedeutung durch die Patina der Zeit. Das Maß aller Meriten im Golfsport sind die Majors, der Grand Slam ist eine Art heiliger Gral, schon der Karriere-Grand-Slam für die meisten eher unerreichbar. Und wo rangiert in diesem Reigen eine Goldmedaille? Welche Bedeutung hat ein Olympiasieg?
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Exotik und eine Art fünftes Rad am Wagen
Schwierig zu beantworten, wenn man sich bei den Spielern umhört. Noch hat Olympia eine gewisse Exotik und ist eine Art fünftes Rad am Wagen: Nice to have, gleichwohl nichts, auf das alles golferische Sinnen und Trachten ausgerichtet ist. Kein Wunder, wenn sich bloß alle vier Jahre diese Nische im Kalender auftut und es eh erst zum dritten Mal um Edelmetall geht. „Die Frage nach dem Stellenwert einer olympischen Medaille ist mir schon oft gestellt worden“, sagte Rory McIlroy in den Tagen von Le Golf National. „Allerdings lässt sie sich vermutlich erst beantworten, wenn man eine hat.“
„Schön, dass es mal nicht um Geld geht.“
Ryan Fox (Neuseeland) vor dem olympischen Turnier.
Das stimmt freilich nur bedingt. Zwar zahlt Neuseeland keine Olympiaprämien, andere Länder jedoch. Spanien beispielsweise würde Jon Rahm für einen Olympiasieg 102.000 Dollar zahlen, die USA 38.000 Dollar für Xander Schauffeles Titelverteidigung. Top sind Hongkong und Singapur mit 768.000 beziehungsweise 745.000 Dollar für Gold. Deutsche Olympiasieger erhalten rund 20.000 Euro.
Es fehlt an Erkenntniswert
Es fehlt schlichtweg an Erfahrungs- und Erlebnis-, mithin an Erkenntniswert. Justin Rose, der US-Open-Champion von 2013 und Gewinner des olympischen Golf-Comebacks vom Rio 2016, steht in Paris für Expertise nicht zur Verfügung. Indes, der Titelverteidiger ist ja da. „Sprecht doch mal mit Xander Schauffele“, empfahl Jon Rahm. „Er ist der einzige, der in letzter Zeit beides geschafft hat: einen Olympiasieg und einen, nein gleich zwei Majortriumphe.“
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„Für mich ist das hier etwas sehr Persönliches"
Freilich, der PGA-Champion und Champion Golfer of the Year ist nicht wirklich repräsentativ. Schauffele hat ein besonderes Verhältnis zu Olympia. Er ist in gewisser Weise in familiärem Auftrag unterwegs und spielt nicht zuletzt ein bisschen für Vater Stefan, der ein hoffnungsvoller Zehnkämpfer war, bis ein alkoholisierter Autofahrer die olympischen Ambitionen des seinerzeit 20-Jährigen jäh beendete. „Für mich ist das hier etwas sehr Persönliches – meine Beziehung zu meinem Dad, sein Traum, ein Olympionike zu werden …“, bestätigt der Weltranglistenzweite.
„Vielleicht in 30, 40 Jahren etwas ganz Besonderes“
Und sowieso: „Golf war lange nicht olympisch. Etliche Generationen sind vielmehr damit aufgewachsen, Arnold Palmer, Jack Nicklaus oder Tiger Woods dabei zuzuschauen, wie sie Majors gewinnen. Ich bin ebenfalls mit den Majors groß geworden. Aber ich würde sagen, meine Goldmedaille von Tokio reift in Ruhe vor sich hin. Vielleicht wird sie in 30, 40 Jahren etwas ganz Besonderes sein, wenn sie mehr Beachtung findet, weil Golf zur Normalität bei Olympischen Spielen geworden ist.“
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Wertgewinn will Weile haben: Die Patina der Zeit
Was zu beweisen war. Wertgewinn will Weile haben. Noch hat Golf bei Olympia keine historische Dimension, die dem Siegeszeichen am Band spezielle Symbolik und Substanz verleiht. Die Bedeutung bislang begründet sich eher durch persönliches Empfinden. Durchs Eintauchen in die Atmosphäre der Spiele. Im olympischen Dorf beispielsweise: „Wenn du dort herumläufst, dann hast du wirklich das Gefühl, Teil von etwas ganz Großen zu sein, viel größer als Golf allein“, schwärmt Ludvig Åberg. „Der Sportnerd in mir liebt das.“
Oder am ersten Abschlag: „Es ist unfassbar, wir spielen nicht um Geld, sondern ,bloß’ um eine Medaille. Und das fühlt sich total anders an. Ich war noch nie so nervös wie hier, als ich mit dem für mich völlig neuen Outfit in der Tee Box stand“, gesteht Jason Day. „Es hat einige Löcher gebraucht, bis ich mich wieder beruhigt hatte.“
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Gänsehaut beim Überziehen des Nationaltrikots
Für Nicolai Højgaard wiederum ist Golf bei Olympia eigentlich völlig normal. Der 23-Jährige kennt die Spiele nicht ohne das Spiel, er war ein Drittklässler, als das Golf 2016 erstmals seit 1904 wieder im olympischen Programm stand. Dennoch: „Ich bekomme eine Gänsehaut, denn das Nationaltrikot anzuziehen ist ein ganz besonderes Gefühl.“
Das erlebt er nicht allein, so empfinden alle. Die deutschen Golf-Olympionikinnen Alexandra Försterling und Esther Henseleit sind auch schon da und freuen sich auf „die beste Woche des Jahres“.
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Golf sollte schon 1996 wieder olympisch werden
Übrigens: Wir wären in Sachen Historie und Nimbus, Erfahrungswerten und Medailleneinordnung womöglich schlauer, wenn die olympische Golfgeschichte der Neu-Neuzeit wie geplant begonnen hätte. Immerhin sollte schon 1996 im Rahmen der Olympischen Spiele von Atlanta ein Golfturnier ausgetragen werden. Unglücklicherweise wollte ausgerechnet Augusta National Gastgeber und Ausrichter sein; Billy Payne, der spätere Chairman des Clubs, war Chef des örtlichen Organisationskomitees und hatte den damaligen IOC-Präsidenten Juan Antonio Samaranch bereits hinter sich.
Plan scheiterte an der damaligen Attitüde von Augusta
Letztlich scheiterte der Plan am Veto des afroamerikanischen IOC-Präsidiumsmitglieds Anita DeFrantz: Die einstige Ausnahme-Ruderin plädierte heftig gegen den noch erklärt rassistischen und Frauen nicht zugänglichen Club und dessen elitistische Attitüden. Die mäßige Resonanz von Spielerseite gab der Idee schließlich den Rest, die Profis sahen keinen zählbaren Gewinn. Im Januar 1993 zog Payne seinen Vorschlag zurück. Wer weiß, wofür es gut war: Olympia-Golf bei den Granden in Grün, das hätte zu einem bösen Bumerang und zu einem Bärendienst für die Zukunft des Spiels im Zeichen der fünf Ringe werden können.