Richard Bland überrascht mal wieder die Golfwelt: Der 48-jährige Engländer, der vor einigen Wochen beim British Masters im 478. Versuch endlich sein erstes Turnier auf der European Tour gewonnen hat, führt nach einer 67er-Runde gemeinsam mit Russell Henley die US Open an. Bland spielte eine vorzügliche erste Neun mit 34 Schlägen, die für ihn auf Loch 10 begann, und eine brillante zweite Schleife, während der lediglich das Bogey auf Bahn acht einen Wermutstropfen in den mit drei Birdies gefüllten Freudenbecher träufelte. Nun redet endgültig alle Golfwelt über den einstigen Tingel-Pro, der trotz aller Rückschläge und mangelnder Erfolge nie aufgegeben hat („Was hätte ich auch machen sollen – einen Bürojob annehmen? Sorry, dafür bin ich nicht klug genug“), heuer erst zum zweiten Mal in seiner Karriere in den USA spielt und nun den späten Lohn seiner Resilienz erntet.
Confirmed by the @USGA historian staff - at age 48, Richard Bland would be the oldest 36-hole leader in U.S. Open history.
— Justin Ray (@JustinRayGolf) June 18, 2021
Und es ist nicht so, als ob Bland das Scheinwerferlicht nicht genießt. „So fühlt sich also an, was Rory [McIlroy, Anm. d. Red.] jede Woche macht“,scherzte er gestern beim Medien-Meeting nach der Runde. Und: „Das ist mal ganz was Neues – ich hatte in der Vergangenheit oft genug an den Wochenenden frei.“ Torrey Pines liegt ihm: „Diese Art von Kurs mag ich; mir war schon beim ersten Anblick am Montag klar, dass ich gut zurecht kommen würde.“
Diese 121. US Open ist das vierte Major für den Mann aus Burton upon Trent in Staffordshire, der seit der Open Championship von Royal Birkdale 1998 jedes Jahrzehnt exakt einmal im Grand-Slam-Reigen dabei war und für jedes Birdie eine Spende zum Schutz der extrem bedrohten Nashörner leistet, deswegen auch einen Rhinokopf als Driver-Headcover hat: „Zwei Dinge kann ich nicht ertragen: Drei-Putts und Tierquälerei.“
Womit wir bei dem Schwan sind, der auf seine Kappe gestickt ist und natürlich Aufmerksamkeit erregt – denn Bland hat keinen Sponsor, der die Kopfbedeckung als Werbefläche nutzt, und ließ sich daher von seinem Heimatclub in England, The Wisley in Woking, für die US-Open-Woche zehn Caps mitgeben. „Ich promote Wisley gern“, sagt er: „Aber wenn jemand ein anderes Angebot hat …“ Angesichts seiner neuen Popularität und der medialen Verbreitung der Causa Kappe könnte der Schwan freilich schon heute abgelöst werden.
Bryson DeChambeau: „Traumhafte“ Schwungkorrektur
Traumdeuter: Mit einer 73 und Zwei über Par fiel der US-Open-Auftakt des Titelverteidigers eher medioker aus. Also tat Bryson DeChambeau, was er sowieso generell gern tut – er kloppte anschließend Bälle auf der Range, bis man ihm kurz nach 21 Uhr das Licht ausknipste. Dafür kam später im Schlaf die Erleuchtung. Samt Ursache und Lösung für seine Schwung-Schwäche. „Ich wachte mitten in der Nacht mit einer Idee auf und sprang aus dem Bett, um es zu probieren“, erzählte der 27-Jährige gestern. „Es ging nur darum, das rechte Handgelenk während des Treffmoments etwas länger gebeugt zu halten.“ Prompt legte DeChambeau eine 69er-Runde aufs grüne Parkett – zwar immer noch mit vier Bogeys, aber dafür mit eben so vielen Birdies und einem Eagle auf der 18, seinem neunten Loch.
„Sisyphos“ Rahm und der Kampf um den Score
Sisyphos-Arbeit: Jon Rahm konnte einem gestern beinahe leid tun. Der Weltranglistendritte aus Spanien wirkte während seiner zweiten Runde wie jene Figur aus der griechischen Mythologie, den die Götter wegen seiner Schlitzohrigkeit mit dem Fluch belegt haben, auf ewig einen Felsbrocken den Berg hinauf wuchten zu müssen, der ihm kurz vor dem Gipfel immer und immer wieder entgleitet. Ebenso wirkte es beim Blick auf Rahms Scorekarte, der Schwerstarbeit leisten und permanent haarscharf das Par retten musste, um direkt am nächsten Loch wieder in Schwierigkeiten zu geraten. „Es ist aber auch wirklich jeder Schlag zu kurz, den ich spiele“, haderte der 26-Jährige zwischendurch mit sich, während er vor lauter Frust den Flex seines Fairwayholzes testete. Im Gegensatz zum antiken Sisyphos hatte Rahms Qual nach 18 Loch allerdings ein Ende – und dank des Birdie zur 70 auf dem Schlussgrün auch ein Happy End.
Oosthuizen zwischen Majorsieg und Landarbeit
Meine kleine Farm: Louis Oosthuizen hat einen Traum. Der Südafrikaner ist begeisterter Bauer und liebt die Landarbeit. Daheim in Mossel Bay hat er bereits eine Farm, wo er mit Begeisterung auf dem Traktor herumfährt, den er sich für den Gewinn der Open Championship 2010 spendiert hatte. Unlängst erwarb „King Louie“ eine weitere Farm in Occala/Florida, mit 34 Hektar Land drumherum. „Die ,Missus‘ und ich können es kaum erwarten, uns dort zu verwirklichen“, erzählte Oosthuizen am Rand der US Open. „In meinem tiefsten Herzen bin ich halt ein Bauernbursche.“ Vorher indes würde er gern noch sein zweites Major gewinnen, nachdem es außer in St. Andrews vor elf Jahren bislang bestenfalls zu zweiten Plätzen reichte. Mit einem Schlag Rückstand auf Richard Bland und Russell Henley ist die Ausgangsposition nicht schlecht, aber der 38-Jährige weiß um die harte Arbeit, die vor ihm liegt: „Einerseits gelten die Gedanken in dieser Phase meiner Karriere zuvorderst dem ,Farming‘; andererseits habe ich das Gefühl, tatsächlich noch ein Major gewinnen zu können. Aber auf diesem Platz können eine Menge Dinge schief gehen. Also gilt es vor allem, ruhig zu bleiben.“
Beide auf T13, aber immer noch keine Brooks-Bryson-Begegnung
Unerwartet: Lange sah es gestern dank zweier schneller Birdies so aus, als liefere „Mr. Major“ Brooks Koepka wieder das gewohnte Bild des Akteurs, der vor allem bei Grand-Slam-Turnieren zur Hochform auflaufen kann, weil ihn ohnehin golferisch kaum was anderes interessiert. Mit Vier unter Par lag der 31-Jährige bereits nach vier Löchern dicht hinter dem Führungsduo, doch dann bekam die „Major-Mentalität“ einen herben Dämpfer mit fünf Bogeys, jeweils zwei als „Pärchen“ auf den Löchern 5 und 6 sowie 14 und 15, bei lediglich einem weiteren Schlaggewinn. Während Koepka vor dem Moving Day auf Even Par und den geteilten 13. Platz zurückgefallen ist, mutmaßen einige unverbesserliche Witzbolde, der vierfache Majorsieger habe die Plus-2-Runde bloß gespielt, um sich seinem ziemlich besten Feind Bryson DeChambeau anzunähern und es die von vielen herbeigesehnte Flightpaarung mit dem Titelverteidiger zu realisieren.
Tatsächlich liegt DeChambeau gleichermaßen auf T13, doch die Reihenfolge der Clubhaus-Einkehr verhindert das direkte Aufeinandertreffen: Koepka spielt heute mit dem Kanadier Adam Hadwin (19.56 Uhr MESZ), DeChambeau geht 33 Minuten später mit Christiaan Bezuidenhout (Südafrika) auf die Runde.
Last-Minute-Birdie: Der Jüngste ist im Wochenende
À la Minute, just in Time, auf den Punkt: Akshay Bhatia ist 19 Jahre alt und damit jüngster Teilnehmer dieser 121. US Open. Der Kalifornier kam als Qualifikant nach Torrey Pines und schaffte gestern, was einer Menge arrivierter Akteure misslang. Bhatia, erfolgreicher Amateur und seit 2019 Profi, spielte bei seiner 73er-Runde (+2) das zweite seiner beiden Birdies, als er es am Nötigsten hatte – auf der Par-5-18 – und rutschte damit exakt auf der Cutlinie von +4 ins Wochenende. Maßarbeit.
Matsuyama und der Schnallen-Schaden
Kollateralschaden? Masters-Champion Hideki Matsuyama hatte gestern mit Materialproblemen zu kämpfen. Doch das Schläger-Equipment war nur indirekt beteiligt. Der 29-Jährige hat offensichtlich derart kraftvoll geschwungen, dass die Schnalle seines Gürtels dem nicht gewachsen war. Wie heißt es doch so schön: „Wo rohe Kräfte walten, kann nichts die Hosen halten“ – autsch.
Watson, Wolff und die Angst im Kopf
Schützenhilfe: Die mentalen Aspekte des Daseins als Spitzensportler sind allenthalben Thema seit Tennisstar Naomi Osaka sich Pressekonferenzen und Medien verweigert und zu ihren Depressionen bekannt hat. Solidarität erfuhr die Japanerin nicht nur vom Schwimm-Heroen Michael Phelps; unsereinem fallen natürlich auch sofort der Fußballtorwart Robert Enke und sein Freitod ein. Will heißen: Das Thema ist brisanter und das Bild größer als einzelne Momentaufnahmen. Vor geraumer Zeit beispielsweise gestand Andrew „Beef“ Johnston die Probleme mit der öffentlichen und vor allem eigenen Erwartungshaltung an ihn als „Gute-Laune-Bär“, ähnliches bekannte jetzt vor der US Open Matthew Wolff, den schon im Alter von 22 Jahren der Umstand aus der Spur warf, „allen gefallen zu wollen“ und sich dabei selbst verloren zu haben.
Auch ein anderer Longhitter kennt dieses Phänomen: Noch im vergangenen November sprach Bubba Watson mit „Golf Week“ über seine Angstzustände. „Ich dachte, ich werde verrückt. Es war alles in meinem Kopf und es drehte sich nur um Angst. Also suchte ich mir Hilfe“, erzählte der zweifache Masters-Champion: „Es ist wichtig, dass mentale Befindlichkeiten kein Tabu-Thema sind. Man muss darüber reden, und ich will einer davon sein.“ Also sprach er trotz seiner feinen 67 beim gestrigen Statement nach der Runde lieber über Matthew Wolff als über seine sieben Birdies und drei Bogeys. Ursprünglich habe er Wolff schon vor einiger Zeit antexten wollen, sagte Watson, „aber ein persönliches Gespräch ist sicher besser“. In Torrey Pines dann ergab sich die Gelegenheit: „Ich mag ihn, seine Familie, sein Team. Also habe ich sie angequatscht, von meinen Erfahrungen im Hamsterrad des Profi-Geschäfts berichtet und angeboten: Wenn Ihr Unterstützung braucht, dann meldet Euch einfach.“ So geht Kollegialität.
Fliegende Freunde
Zum Schluss: Das Rough prägt bei dieser US Open den Platz, und Torrey Pines wiederum lebt vor allem von den spektakulären Bildern seiner Lage über dem Pazifik. Die Thermik an den Klippen von La Jolla scheint zudem ideal für Motorsegler und Paraglider zu sein, die immer wieder im Hintergrund der TV-Bilder auftauchen und aus luftiger Höhe perfekte Sicht aufs Major-Geschehen haben.
Andere Zaungäste wiederum könnten, wollen aber partout nicht (weg-)fliegen. Zumindest dieses (weibliche) Exemplar der Art Stockente scheint das vom einzigen Wasserhindernis flankierte Grün der 18 als sein ureigenes Habitat anzusehen.