84 Bunker verteilen sich über den Open-Kurs des WINSTON-Resorts, in gefühlt der Hälfte davon bin ich herum gestapft, habe Sand geharkt und Spuren verwischt. 500 englische Pfund Strafe koste es, hat der „Signore“ gesagt, wenn bei einem Turnier die Sandhindernisse nicht „jungfräulich“ hinterlassen werden. An mir soll‘s nicht liegen. Ich bin nämlich der Caddie, Caddie für einen Tag, der einzige im Viererflight. Ehrensache, dass ich auch den Mitstreitern hilfreich zur Hand gehe, damit die sich auf Golf konzentrieren können. Was schwierig genug ist an diesem stürmischen Tag nahe Schwerin, wo gerade die European Senior Tour zum vierten Mal zur WINSTONgolf Senior Open Station macht.
„Berühmtester Open-Zweiter“
Der guten Ordnung halber: „Mein Signore“ lag nur ein Mal im Bunker, auf 18 Löchern. Costantino Rocca kennt sich aus mit windigen Golfangelegenheiten. Sinnigerweise jährt sich in diesen Tagen zum 20. Mal der große Auftritt des gedrungenen Italieners bei der Open Championship, als sich Rocca 1995 auf dem 18. Grün des Old Course zu St. Andrews mit einem 18-Meter-Putt ins Playoff schoss, dieses „Monster-Birdie“ theatralisch feierte und dann das Stechen gegen John Daly verlor. „Es ist dennoch eine gute Erinnerung: Ich bin immerhin der berühmteste Zweite der Open-Historie“, grinst Rocca, pfeffert ein flaches Eisen fünf gegen den heftigen Wind aufs 90 Meter entfernte Grün und reicht mir den Schläger.
Ich bin die „Putze“. Was keineswegs despektierlich gemeint ist. Als Hilfskraft an der Tasche – ich muss nicht schleppen, Rocca hat dankenswerterweise einen Trolley mit seinem Travelbag gesattelt –, ziehe ich das Gespann, lege Divots zurück, wische die Gebrauchsspuren vom Spielgerät, frisiere den Bunkersand und darf auch mal zerknirscht gucken, wenn ein jäher Windstoß Roccas Ball kurz vor dem Loch aus der Spur treibt.
Irgendwelche Ideen bezüglich der Schlägerwahl verkneife ich mir, seit ich am Abschlag der Zwei forsch „Driver?“ gefragt habe und mein Spieler angesichts des Teichs auf der rechten Seite und des „Blasorchesters“ von links ein knappes „Five Iron!“ neben der Zigarette zwischen seinen Lippen rausquetscht.
Mit der Arbeitsbeschreibung eines regulären Caddies hat mein Gastspiel in der Tat wenig zu tun. Die professionellen „Looper“ sind bekanntlich viel mehr als bloß Gepäckträger und Reinigungspersonal: Seelenmasseur zum Beispiel, Ersatztrainer, Wind- und Landvermesser, Schlägerberater, wandelndes Birdiebook, manchmal überdies Blitzableiter.
Altmeister mit Zeit für die Familie
Rocca führt sein Birdiebook selbst, nutzt das Pro-Am, um nach 2012 und 2013 „wieder mit dem Kurs vertraut zu werden“. Es ist heuer erst sein drittes Event auf der European Senior Tour, der italienische Altmeister lebt nicht mehr vom Turniergolf, „das wäre unmöglich“. Der Preisgelder wegen – der WINSTON-Sieger erhält 45.000 Euro – und weil er sich aufgrund seiner vielfältigen Aktivitäten „nicht so gut aufs Golfspielen konzentrieren kann“.
Der 58-Jährige gibt „Clinics“ und wird für Firmen-Golfevents engagiert, er hat in Italien zwei Platzdesign-Projekte in Arbeit und „nimmt sich ansonsten Zeit für die Familie“. Nach Deutschland kam er auch wegen seines Sohns: Francesco Rocca spielt an diesem Wochenende in Fulda auf der Pro Golf Tour, „il Papà“ reiste nach Mecklenburg-Vorpommern weiter.
Unsere Runde beginnt per Kanonenstart an Loch 14. Beim zweiten Schlag auf dem Par-5 zeigt mein Boss direkt großes Kino und drischt den Ball mit seinem 8,5-Grad-Driver vom Fairway in Richtung Fahne. Etliche Bahnen später versucht das auch einer der drei Amateure, Handicap acht, zweistelliges Loft auf dem Holz eins und aus dem „First Cut“: Die Kugel hoppelt nicht mal hundert Meter. „Du musst den Ball schon flach halten“, flachst Rocca, „aber so flach nun auch wieder nicht.“ Derweil zerren orkanartige Böen an Spielern, Taschen und an den Nerven, mein Caddie-Leibchen wird zum Segel.
Sieg gegen Tiger Woods in Valderrama
Auf der dritten Bahn drückt der Wind ein 56-Grad-Lob-Wedge am Grün vorbei. Rocca erstarrt. Sein Caddie auch. Anschließend erlebe ich, wie schön Italiener auf Deutsch fluchen können. Das „Sch…“-Wort klingt dank des sehr weichen „ß“ fast melodisch. Vier Löcher später fällt dann endlich ein langer Putt zum ersten Birdie. Während mein Spieler ein zufriedenes Gesicht macht, muss ich daran denken, dass Rocca 1997 als erster Italiener ins europäische Ryder-Cup-Team für Valderrama berufen wurde und im Einzel ausgerechnet gegen Tiger Woods den entscheidenden Punkt machte.
Ein paar Monate zuvor hatte der vierfache European-Tour-Sieger den ersten Majorsieg des aufstrebenden Superstars aus nächster Nähe miterlebt. Rocca und Woods bildeten den Schlussflight des Masters, Tiger gewann mit 18 unter Par und zwölf Schlägen Vorsprung, Rocca wurde immerhin Fünfter und damit bester Europäer. Ich war Teilzeit-Caddie einer Golflegende!
Hi Micha, fein geschrieben. Fühlte mich dabei..
Hallo,
schöner Beitrag, ich war 2011 Caddy bei Rocca bei der Seniortour in Köln-Refrath an allen drei Tagen, war ein super Erlebnis (habe aber brav das Sein Bag getragen),
Mit freundlichen Grüßen
Ralf Dietrich
P. S. Hätte auch noch ein paar Fotos, am ersten Tag haben wir bspw. mit Sam Toorance im Flight :-))