Die Wüste lebt. Wo vor einem Dutzend Jahren noch der Sonnenglast rissige Muster in den Boden dörrte, fließen heute die Fairways und Grüns der Yas Links an den Lagunen des Persischen Golf entlang: Der linksartige Kurs auf Abu Dhabis artifizieller Amüsierinsel Yas Island ist ein Kleinod unter all den Golf-Smaragden, die von den Golfstaaten mithilfe ihrer Petro-Dollars in den Sand gepflanzt wurden, um genau dieser Abhängigkeit vom Öl zu entgehen und sich als touristische Standorte auf breite Beine zu stellen.
Folgerichtig teilen sich die Yas Links, die heuer den Abu Dhabi Golf Club mit seinem einprägsamen Falken-Clubhaus als Bühne der Abu Dhabi HSBC Championship ablösen, das 25 Quadratkilometer große Eiland mit Attraktionen wie der „Ferrari World“ und der „Yas Waterworld“, der „Warner Bros. World Abu Dhabi“ und der „SeaWorld Abu Dhabi“, der welthöchsten Kletterwand oder der Formel-1-Piste „Yas Marina Circuit“. Die entsprechenden Hotels verstehen sich von selbst. Ein modernes Coney Island auf Luxus-Level sozusagen, eine Art Paralleluniversum.
Auftakt zum Desert Swing
Aber es hat ohnehin stets ein bisschen was von verkehrter Welt, wenn der Tour-Tross in der Wüste Station macht. Originäre Standorte des Spiels sind die Schauplätze des Desert Swing wahrlich nicht; wohl aber ein Beleg, dass Golf dem Geldfluss förderlich sein kann. Und so gehört der Nahe Osten seit der ersten Dubai Desert Classic 1989 zum „Kernland“ des neuerdings als DP World Tour tingelnden europäischen Circuits, derweil die PGA Tour nach den Festspielen auf Aloha-Hawaii „Mahalo“ (danke) gesagt hat und diese Woche zur American Express im kalifornischen LA Quinta aufs US-Festland zurückgekehrt ist.
Verkehrte Welt offenbart sich auch beim näheren Blick auf die jeweiligen Reisegruppen. Während Europas Bester Jon Rahm, gleichzeitig Primus auf dem Golfglobus, den Start beim Drei-Plätze-Event mit Amateur-Beteiligung und 54-Loch-Cut in der neuen Welt vorzieht, hüpfte Amerikas Top-Mann Collin Morikawa, die Nummer zwei hinter dem Spanier, über den großen Teich, um im Sand von Abu Dhabi zu spielen. Dabei hätte er davon auch in der vom Klimawandel befeuerten Ödnis des kalifornischen Coachella-Tals genug haben können.
Im Fernduell ist ein Sieg Erfolgspflicht
Doch der Champion Golfer of the Year von Royal St. George’s und amtierende Race-to-Dubai-Titelträger weiß, was er seinen europäischen Meriten schuldig ist und trägt den Zweikampf mit Jon Rahm um den Weltranglisten-Platz an der Sonne nun im Fernduell aus. „Ein richtig guter Golfplatz“, sagte Morikawa zum Kyle-Phillips-Design vor Abu Dhabis Skyline und mit neun Bahnen auf einer Länge von drei Kilometern direkt am Wasser: „Wenn man gerade von Hawaii und den breiten Fairways auf Kapalua kommt, dann wirkt das hier erstmal gehörig schmal.“
Gewinnt er dieses erste Turnier der diesjährigen Rolex Series, und wird der Baske gleichzeitig nicht mindestens geteilter Siebter mit lediglich einem weiteren Spieler, dann tauschen die beiden ihre OWGR-Plätze. Allerdings gehört Rahm als Nummer eins naturgemäß gleichermaßen zu den Favoriten des einst ebenfalls als „Desert Classic“ geführten Traditionsturniers auf der PGA Tour. Zumal er The American Express bereits 2018 gewonnen hat.
Rory McIlroys traditionell starker Start
Hüben wie drüben müssen sich die beiden Kombattanten freilich mit einer Heerschar ernsthafter Konkurrenten auseinandersetzen. Rahm hat es u. a. mit dem FedEx-Cup-Triumphator und „Player of the Year“ Patrick Cantlay, Vorjahressieger Si Woo Kim, den Young Guns Scottie Scheffler und Will Zalatoris sowie nicht zuletzt mit Phil Mickelson zu tun.
In Abu Dhabi, wo acht Millionen Dollar im Topf sind und der Sieger 1,33 Millionen mitnimmt, führt Rory McIlroy das Feld der Morikawa-Rivalen an. Der Nordire startet traditionell stark ins Jahr und war bei seinem zehn Teilnahmen in Abu Dhabi nach einem elften Debüt-Platz 2008 nur einmal nicht unter den Top-Fünf: 2013 verpasste er gemeinsam mit Tiger Woods den Cut. Andererseits schrammte „Rors“ auch vier Mal als Zweiter knapp am Sieg vorbei. Dementsprechend strotzt der 32-Jährige mal wieder vor Selbstvertrauen.
Und dann ist da zwischen Mitbewerbern wie Viktor Hovland, Shane Lowry, Lee Westwood, Adam Scott oder Titelverteidiger Tyrrell Hatton noch Tommy „Die Matte“ Fleetwood, Sieger der Jahre 2017 und 2018. Der Engländer, mit dessen Haar sich alle Welt gern Scherze erlaubt, feiert heute seinen 31. Geburtstag und unternimmt ab morgen einen neuen Anlauf, seine Schlag-Fertigkeiten in Erfolge umzusetzen, nachdem er auf den 41. Platz der Welt abgerutscht ist. Die brillante Form der „Moliwood“-Ära im Ryder Cup mit „Bro“ Francesco Molinari, der übrigens auch in Kalifornien antritt, ist drei Jahre und gefühlt eine Ewigkeit her. „2021 war ein sehr schwieriges Jahr“, so Fleetwood. „Mir fehlte einfach der Rhythmus. Es gab eigentlich kein Turnier, bei dem ich mich mit meinem Spiel sicher gefühlt habe.“
Fleetwoods letzter Erfolg war die Nedbank Challenge 2019 in Südafrika. Während er nun in Abu Dhabi genau daran anknüpfen möchte, hofft die DP World Tour wiederum, nach den vom Omikron-Ausbruch zerfledderten chaotischen Gastspielen des südafrikanischen Saisonauftakts in organisatorisch ruhige Fahrwasser zurückzukehren. Wie gesagt: Verkehrte Welt.